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Schrauben auf Filet

Sozialpädagogisches KFZ-Kollektiv in Kreuzberg steht nach zwanzig Jahren vor dem Aus. Bundesbahn will Grundstück profitabel verwerten  ■ Von Gereon Asmuth

Neben der alten Ente leuchtet eine frisch gelblackierte Uraltausgabe eines Daimlers. Gleich dahinter warten die Überreste eines ausgeschlachteten Trabbis auf ihre Wiederverwertung. An der bunten Mischung der Automodelle schraubt ein multikultureller Mix junger Menschen.

„Afrikaner, Bosnier, Türken, Deutsche, hier arbeiten Leute unterschiedlichster Herkunft zusammen“, berichtet Manfred Zimmer, Mitarbeiter des KFZ-Kollektivs an der Schöneberger Straße in Kreuzberg. „Hier werden die Ansprüche der großen Politik im kleinen realisiert.“

Vor fast zwanzig Jahren hatte der Verein Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB) das KFZ-Kollektiv gegründet. Jugendliche und junge Erwachsene aus gesellschaftlichen Randgruppen finden hier seither die Möglichkeit zu berufsvorbereitender Qualifikation.

„Haftentlassene, ehemals Drogenabhängige und ausländische Mitbürger“, zählt Manfred Zimmer auf, „Menschen aus Randgruppen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt ohne Chance sind.“ Ohne Chance auf dem normalen Reparaturmarkt wären auch viele der alten Kisten, die das Kollektiv wieder flottmacht. Durch die Einnahmen aus den Reparaturen trug sich das Projekt ohne öffentliche Förderung.

Doch die kleine soziale Insel droht nun von der Marktwirtschaft geschluckt zu werden. Die zweite enorme Mieterhöhung innerhalb weniger Jahre durch die Eigentümerin des Geländes, die Bundeseisenbahnvermögens-Verwaltung (BEV), war nicht mehr durch die Einnahmen zu decken.

Seit 1994 fordert die BEV eine Jahresmiete von 140.000 Mark. Vier Jahre zuvor waren es nur 40.000 Mark. „Ein Jahr lang haben wir trotzdem die hohe Miete gezahlt“, berichtet Manfred Zimmer. „Wir haben gehofft, daß es irgendwie funktioniert. Aber nachdem einige Leute sich sogar privat verschulden mußten, um das Geld aufzubringen, haben wir im November letzten Jahres die Zahlungen gekürzt.“

Neunzigtausend Mark im Jahr, haben die Kollektivisten errechnet, wirft der Betrieb für die Miete ab. Zu wenig für die BEV, die sich nicht auf Verhandlungen einlassen wollte. „Die haben das abgelehnt, weil sie sich nicht für soziale Belange zuständig fühlen und rein wirtschaftlich denken müßten“, ärgert sich Zimmer. Statt dessen flatterte den Kollektivisten im Februar dieses Jahres das Kündigungsschreiben ins Haus. Für Ende September ist ein Räumungsprozeß anberaumt.

Bei Mietbeginn war das Grundstück noch so günstig zu haben, daß sich der SSB auch verpflichtete, nach Mietende die Gebäude abzureißen. Bis zu 200.000 Mark müßte der SSB heute dafür aufbringen. Da der gemeinnützige Verein aber keine Rücklagen hat, sehen die SSBler auch die Existenz der anderen Vereinsprojekte gefährdet. Das Jugendzentrum Drugstore an der Potsdamer Straße, das Thomas-Weißbecker- Haus und ein selbstverwaltetes Wohnprojekt in der Mansteinstraße drohen in den Finanzstrudel des KFZ-Kollektivs hineingezogen zu werden.

„1977 war das hier absolute Randlage, hier stand sonst gar nichts“, erinnert sich Manfred Zimmer. Heute sind die Garagen der Schrauber nicht nur von den Neubauten der achtziger Jahre umgeben. Fast in Sichtweite werden die Bürogebäude am Potsdamer Platz aus dem Boden gestampft. „Das ist jetzt ein Filetgrundstück“, weiß auch Zimmer. „Seit 1994 versucht die BEV das Gelände als Bauland zu verwerten“.

Bisher plant der Bezirk auf dem Gelände jedoch eine Grünfläche. Das haben Anfang August die Kreuzberger Bezirksverordneten nochmals betont und gleichzeitig für einen vorläufigen Bestandsschutz für das Kollektiv plädiert. Um die Bezirkspläne umzusetzen, müßte das Grundstück jedoch gekauft werden.

„Dazu fehlt das Geld in der Bezirkskasse“, befürchtet Autoschrauber Zimmer. Auf jeden Fall werde man vor dem Kauf den Prozeß gegen die BEV verlieren. „Um weiterarbeiten zu können, brauchen wir ein Ersatzgelände“, hofft Zimmer auf schnelle Hilfe. „Und irgendeine Stelle muß die Abrißkosten übernehmen.“

Das KFZ-Kollektiv Schöneberger Str. 22 lädt für heute 15 Uhr zum Tag der offenen Tür

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