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Soviel keine Zeit muß sein

Der Film zur Platte zur Single zum Hit: Marius Müller-Westernhagen hat sich für die Rockdokumentation „Keine Zeit“ von D. A. Pennebaker auf Tour filmen lassen, der schon Clinton und Strauß porträtierte  ■ Von Benjamin v. Stuckrad-Barre

O Mann, Ihr seid die Größten, ich habe echt schon für manche Zeitung geschrieben, aber Ihr, taz-Leser, heute am Freitag, Ihr seid echt die Allergrößten. Ihr seid wahnsinnig, waaaaaaahnsinnig, unglaublich, diesen Artikel werde ich wirklich nie vergessen, danke schön, o Mann. So was glaubt einem doch kein Mensch. So was glauben einem nur achtzigtausend auf einmal. Und dann glaubt man es sich wohl auch selber.

Mit 18 rannte Marius Müller-Westernhagen in Düsseldorf rum, war Sänger in 'ner Rock-'n'-Roll-Band. Seine Eltern nahmen ihm das immer krumm, er sollte was Seriöses lernen, ja, ja, ja; jetzt will er nicht mehr auf die Straße, will nur singen – nicht schön, sondern geil und laut. Denn Geld findet man bekanntlich im Dreck, und Straßen – weiß Westernhagen – sind aus Dreck gebaut – Mundharmonika à gogo. Mit 47 nun rennt Westernhagen gar nicht mehr, er stolziert. Er trägt Anzüge von Armani. Er hat eine farbige Frau geheiratet, ein Model wohl. Er hat Häuser und Autos und Kinder. Für Drogen und Alkohol scheint er inzwischen zu eitel. Schöner Rock. Er hat es geschafft.

Von null auf eins und Abermillionen verkaufter Platinschallplatten und Auszeichnungen und ausverkaufte Stadien, erfolgreichster Deutschrocker sowieso und alles super. Und alles in Deutschland. Dabei ist Deutschland eigentlich böse und spießig und kleingeistig – eben deutsch, sagt Marius, der, in die Enge getrieben, Ansichten und Grenzmarkierungen gerne „jetzt aber sehr deutsch“ findet. Und weil Marius Müller-Westernhagen so herrlich undeutsch zu sein glaubt, hat er seine „für deutsche Verhältnisse“ jenseitig teuer produzierte Großspurtournee auch noch verfilmen lassen, denn einer muß ja die Meßlatte anheben, die die andern nicht zu überspringen in der Lage sind.

Weil man „nur mit Risiko weiterkommt“ und „alles andere langweilig“ ist, gibt es nun, was es noch nie gab, zumindest nicht in Deutschland – eben zur Tour einen Film und zum Film zur Tour gibt es auch eine Platte (ha, ha, Platte sagen ja wohl nur die allerdeutschesten Spießbürger, bei Westernhagen ist es mal gleich ordentlich und ohne zu kleckern eine „Live-Soundtrack-Doppel-CD“).

Mit dem Erfolg nach oben wachsen

Und wo findet das einzige Westernhagen-Konzert in diesem Jahr statt? Nun, unter dem Motto „Rock & Race“ auf dem Hockenheimring, und drumherum wird irgendein dummes Autogeschnatter übertragen, und der andere deutsche Rennfahrer Heinz-Harald Frentzen, der nicht Schumi ist und den immer alle vergessen, der wird mit einem Helikopter eingeflogen, und das gab's ja wohl noch nie.

Das alles gab's noch nie. Denn man muß auch mit seinem Erfolg wachsen. Und lieber nach oben und unten als in die Tiefe. Natürlich handelt es sich beim „einzigen Konzert 1996“, bei Film und Platte um ein „einmaliges Joint-venture in der Unterhaltungsbranche“. Sagt die Plattenfirma. Daß ausgerechnet D. A. Pennebaker und Chris Hegedus mit der Verfilmung dieses Spektakels betraut wurden, ist nicht verwunderlich (größer ging's nicht, und Steven Spielberg hatte keine Zeit), verwunderlich allein ist, daß diese, die sich mit entlarvenden Filmen über Bill Clinton, die Kennedys oder F. J. Strauß einen Namen gemacht haben, daß eben die aus der Verfilmung von Westernhagens 95er- Tour nicht viel mehr als ein eher langweiliges On-the-road-Movie fabrizierten, das Westernhagen zeigt, wie er selbst sich gerne sieht: als entertainende Großmacht Westernhagen einerseits und als sensiblen, unsicheren Marius andererseits, der sich im Schoß seiner Frau verkriecht und weinend zusammenbricht wegen zuviel oder zuwenig Applaus.

Die Banalität kennt keine Grenzen, keine Dramaturgie, wenn Westernhagens Tourleben sich tatsächlich so langweilig darstellt wie seine Musik; wenn vor dem Konzert (nach dem Konzert, während des Konzerts!) gealbert wird, wenn im Proberaum gejammt wird („I think, we should do it as a reggae, more so dumdatschabeldobauauauauau, yeah, it works“), wenn die Fans heulen und Westernhagen schließlich nachts im Bademantel (ja!), am Klavier (gewiß!) im Hotel (wo sonst!) seiner Frau (und nur ihr!) ein Lied vorsummt? Eine der wenigen bedeutsamen Stellen zeigt Westernhagen nach einem Konzert samt Frau im schnellen Wagen davonflitzen (laßt Euch nichts von Bandbussen erzählen, Rockfreunde!): Da ruft jemand an (es ruft überhaupt den ganzen Film über dauernd jemand an) und sagt, daß die Menschen immer noch schreien, und das findet Westernhagen „amazing“, da müsse man „noch einen drauflegen“. Macht man aber natürlich nicht. Und Romney bemerkt pragmatisch, daß „wenigstens die Straßen leer“ seien, weil eben noch alle schreien.

Produktverknappung im Vorfeld: Spannend!

Womit auch schon Wesentliches zur Musik gesagt ist, denn die ist egal bei Herrn Westernhagen, schon lange. Aber das merkt man manchmal nicht, auch die Journalisten nicht, durch sehr geschickte Produktverknappung im Vorfeld nämlich (die Plattenfirmenpersonal zu so herrlich absurden Verlautbarungen bringt wie: „Es gibt nichts zu hören!“) wird suggeriert, daß Spannung berechtigt sei. Und man darf auch nicht mit ihm sprechen oder nur ganz wenige und nur ganz kurz (und die kriegen dann wieder ihr Deutschsein um die Ohren gewetzt). Auf diese Weise wird den Menschen weisgemacht, Westernhagen habe was zu sagen. Oder zumindest etwas zu bedeuten – und wenn es schon nicht rechtzeitig die neue Platte zu hören gibt, so wird eben gerne „das Phänomen beleuchtet“.

Und dann gibt es auch wieder Interviews, und Westernhagen darf salbadern, wie „wahnsinnig komplex die Beziehung zwischen Künstler und Publikum“ sei. Und wie nach einigen Sekunden am Mikrophon „alle Nervosität verfliegt“. Und wie toll das ist, wenn hunderttausend deine Songs singen, „und zwar jede Zeile“. Musikalisch wie auch in Interviews gibt es, wenn es sie denn gibt, ohnehin nur Phrasen: Schnöd-regressiver Normalrock wird flankiert durch einen Künstler, der beständig davon faselt, „sich immer weiterentwickeln zu müssen“ (was super wäre!) und nicht stehenbleiben zu wollen, „was ja sehr einfach wäre, aber das bringt mir ja nichts“. Natürlich nicht. Und so werden Veröffentlichung von Film und Platte „eng gestaffelt“, und die Plattenfirma darf „auf Kooperation und Synergie“ setzen, was mal wieder schwer global klingt.

Der Film heißt wie die Platte heißt wie die Single heißt wie ein alter Hit heißt wie es gekocht wurde: „Keine Zeit“. Aha. Synergie. Die Platte ist eine Westernhagen- Platte, Rezension, Baby? Nö.

Im presswehenartigen Titelsong moniert Herr Westernhagen in trommelnder Ironie das Fehlen von Zeit hinsichtlich der Verrichtung folgender Tätigkeiten: für ein Versteck, für 'nen schmutzigen Trick, für 'ne Religion, für 'ne Diskussion. Soviel keine Zeit muß sein. Dazu sind natürlich die Bilder sehr schnell geschnitten, weil halt keine Zeit ist. Wie auch Boris Becker hat Westernhagen auf dem Weg nach oben eine exotische Frau um sich geschart (irre undeutsch!), und da gebietet es die gute Kinderstube, daß man sich im Alltag (meint: in der Limousine, hinter der Bühne, in der Suite, beim Soundcheck) mittels eines munteren Hanseatenanglosprech mitteilt: Da kann es schon mal passieren, daß Marius sich freut, daß die „chemistry allright“ ist. That's schon okay.

Der Trick ist: alles noch größer, alles noch doller und lauter, und dann gibt es keine Parameter mehr, und Qualität wird plötzlich in merkwürdigen Maßeinheiten gemessen: vermeintliche Undeutschheit (die natürlich das genaue Gegenteil ist), Anzahl von Sattelschleppern zur Beförderung des Tourneezubehörs, Kilowattstunden verbrauchter Energie für Licht und Ton, Anzahl von hintereinander ausverkauften Abenden im selben Stadion, von Teebeuteln für die Aufbauhelfer, Millionen Platten und immer so weiter. Bis dann alles egal ist. Bis dann einer einen Hut aufsetzen darf, eine Platte „Affentheater“ nennen und einfach so, ohne rot, aber nicht, ohne reich zu werden, Beckett, Brecht und Kafka als Interpretationshilfen anbieten.

Und bis dann auch die FAZ kriegsberichterstattend frohlockt: „Mobilisiert in wenigen Tagen über achthunderttausend Zuschauer, das schafft kein anderer deutscher Künstler“ – gerade so, als beweise dies nun irgend etwas. So gesehen, kann es gar nicht sein, daß „Keine Zeit“ kaum Distinktionsgewinn bereithält: Immerhin wurden „insgesamt 60.000 Meter 16mm Material“ verfilmt; macht pro Zuschauer im ausverkauften Frankfurter Waldstadion einen Meter Filmrolle, man kann damit außerdem fast die Straßen von Hamburg bis Bremen pflastern, was ja gar nicht so weit ist. Aber: Westernhagens „Horizont endet ja nicht an den Grenzen Deutschlands wie offenbar der Ihre“, wie er kürzlich einen Spiegel-Redakteur anfauchte.

Und nicht zuletzt, da es die Journalisten nicht tun („Na ja, Kritiker!“), lobt sich jemand wie Westernhagen natürlich beständig selber, und wenn er sich mal sanft zu kritisieren scheint, so ist das nur sein größtes Selbstlob: Ein „krankhafter Perfektionalist“ ist er natürlich. Da helfen keine Pillen. Und so ist es auch, alle Bösdeutung nimmt er vorweg und rührt in „Schweigen ist feige“ auch affirmativ „Ich bin der deutscheste Deutsche“, also doch, aber hoppla, das war ja wohl wieder ironisch. Dafür sind im Film an dieser Stelle nun ganz zufällig Barbara und Boris Becker in den Proberaum eingefallen und singen begeistert mit. Beide Ehefrauen tanzen (exotisch, spontan, Quelle der Inspiration!) und rufen immerzu „Oh, really“, als die Männer aus der großen, langweiligen Welt erzählen. Und als man sich gerade fragt, wann denn endlich Roberto Blanco und Rudolph Mooshammer auftauchen, da leuchtet sie auf, die Parallelität der Paralleluniversen: Die allgemeine Angeberei kulminiert darin, daß Marius seine Mundharmonika im Konzert immer nach dem Solo ganz vorsichtig ins Publikum wirft, und Boris aber schon mal mit einem ins Publikum geworfenen Tennisschläger einen Fan getroffen hat, was einen Prozeß nach sich zog. Oh, really. Und nun will Marius in Zukunft seine Mundharmonikas noch vorsichtiger werfen.

Ein einziges Mal ist Westernhagen im Film das Arschloch, das er wohl in Wahrheit ist: „Quatsch, das habe ich nicht erlaubt; das war aber so nicht abgesprochen. Nur 15 pro Nummer!“ bellt er ins Limousinenhandy. Ja, was wohl nur 15 pro Nummer? 15 Sekunden fotografieren? 15mal dasselbe Riff? 15tausend Kilometer Filmmaterial? 15mal das Kostüm wechseln? 15mal lügen?

So, und jetzt will ich Euch hören, alle, da oben auch, kommt.

Marius Müller-Westernhagen: „Keine Zeit“. Die Single ab heute, der Film ab 12.9.; der Soundtrack ab 16.9. (Wea)

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