piwik no script img

Wie die Wirtschaft grüne Zahlen schreibt

■ Berichterstattung in eigener Sache ist stets mit Vorsicht zu genießen. Die Inhalte von Umweltberichten der Unternehmen decken die Bandbreite von selbstkritischen Studien bis grünlackierter Reklame.

Mitte der achtziger Jahre, erinnert sich Klaus Fichter vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW), machte sich kaum ein Dutzend Unternehmen die Mühe, einen Umweltbericht zu erstellen – weltweit. Heute sind es allein in Deutschland etwa fünfhundert.

Angesichts einer solchen Papierflut scheint es höchste Zeit, eine Antwort auf die Frage zu finden, was genau denn ein Umweltbericht eigentlich ist. Unter dieser Bezeichnung firmieren nämlich die unterschiedlichsten Erzeugnisse. Die Palette reicht von ernsthaften, selbstkritischen Studien bis hin zu grünlackierter Reklame.

Gerade in Branchen, die traditionell großen Wert auf Imagewerbung legen, wird dann oft in epischer Breite über den Einsatz von Sparlampen und die Anschaffung von Dienstfahrrädern berichtet. „Ob aber“, so Sabine Braun, Vorstandsmitglied der „Umweltinitiative von Unternehme(r)n – future e.V.“, „eine Bank den Kopierpapierverbrauch pro Mitarbeiter von zwanzig auf neunzehn Blatt herabsetzt, ist nicht der springende Punkt.“ Wichtiger als Abhandlungen über derartige „Nebenkriegsschauplätze“ sei vielmehr die Frage: „An wen und wofür vergeben die ihre Kredite?“

Die „Wesentlichkeit“ eines Berichts zählt denn auch nach Expertenmeinung zu den wichtigsten Kriterien. Schließlich, so zwei weitere Bedingungen, muß der Report „Klarheit“ und „Öffentlichkeit“ schaffen, was ihm nicht gelingen kann, wenn er entweder nur Platitüden verbreitet oder aber Hunderte von Seiten mit Fachchinesisch füllt. Auch ein Großkonzern, fordert Klaus Fichte, muß sein Verhältnis zur Umwelt auf dreißig bis vierzig Seiten darstellen können, und deshalb könne ein Unternehmen wie beispielsweise die Firma Bayer nicht sämtliche ihrer rund 8.000 verschiedenen Erzeugnisse darstellen. „Wenn sie aber schon ein bestimmtes Produkt hervorheben wollen, dann nicht eines, mit dem sie besonders gut abschneiden, sondern eines, das wesentlich den Umsatz bestimmt. Das schmeckt denen natürlich nicht.“ Der Versuchung, betriebswirtschaftlich unbedeutende, womöglich gar aus Steuergeldern finanzierte „Pilotprojekte“ in hehren Worten zum Bestandteil der Unternehmensphilosophie hochzustilisieren, kann man oft gerade dort nicht widerstehen, wo das hergestellte Produkt selbst mit dem Umweltgedanken über Kreuz liegt. Automobilhersteller gehen da immer wieder mit schlechtem Beispiel voran: Seitenlang berichten sie über Experimente mit Erdgasantrieb oder Elektromotoren, doch eine Erklärung für den immer noch viel zu hohen Benzinverbrauch der restlichen 99,9 Prozent ihres Sortiments bleiben sie schuldig.

Schlimmer noch: Im aktuellen Umweltbericht der Volkswagen AG – kein Einzelfall – findet sich das Eigenlob, bei der Fertigung von Klimaanlagen auf FCKW zu verzichten. Deren Verwendung ist aber sowieso schon seit 1995 verboten.

Daß ein Großunternehmen seine Umweltaktivitäten durchaus überzeugend darstellen kann, beweist hingegen die Neckermann AG. Immerhin belegt das Frankfurter Versandhaus mit 379 von 500 möglichen Punkten Platz 4 des von IöW und „future e.V.“ in diesem Jahr bereits zum zweitenmal durchgeführten „Rankings“ von Umweltberichten.

Spitzenreiter war, wie schon beim ersten Ranking 1994, die Firma Neumarkter Lammsbräu, Platz 2 belegte der Textilfabrikant Kunert und Dritter der Wertung wurde der Möbelhersteller Sedus Stoll (Die Ergebnisse wurden in der Ausgabe 5/96 der Zeitschrift Capital und im Juni-Heft des Umwelt Magazin ausführlich dargestellt). Insgesamt, so das erfreuliche Resümee der achtköpfigen Jury, hat sich nicht nur die Zahl, sondern auch die Qualität der Umweltberichte seit der ersten Bewertung gesteigert. Ein wichtiger Grund hierfür ist die 1993 verabschiedete „Öko-Audit“-Verordnung der EU mit ihren relativ umfassenden und konkreten Vorgaben. Immer mehr Firmen unterziehen sich dieser Prüfung und geben den hierbei gefertigten Bericht – nach der Bewertung (Validierung) durch einen unabhängigen Gutachter – an die Öffentlichkeit. Das „Öko-Audit“ trägt somit dazu bei, Standards durchzusetzen.

Allerdings sind die Vorgaben für das Audit auf Industrie und verarbeitendes Gewerbe zugeschnitten und für Handel und Dienstleistungen (noch) nicht anwendbar. Zudem bezieht sich die Prüfung immer nur auf einzelne Produktionsstandorte. „Bei Großunternehmen“, so Klaus Fichter, „macht das überhaupt keinen Sinn“.

Andererseits, hält Rüdiger Kunz, Umweltexperte des TÜV Rheinland dagegen, „ist es eine Farce, wenn man versucht, ein Unternehmen von seiner Umwelt zu trennen“. Schließlich sei die Bewertung beispielsweise der Geräuschemissionen abhängig davon, ob sie in einem Gewerbegebiet oder in einem Kurort entstehen.

Doch auch Kunz will damit nicht einer „End of Pipe“-Analyse das Wort reden, die nur die am Ende des Produktionsprozesses entstehenden Belastungen mißt. Zwar ist auch diese Frage – ein wichtiger Aspekt – nicht nur ökologisch, sondern wegen steigender Abwassergebühren und anderer Kostenfaktoren auch ökonomisch zunehmend relevant. Wirklich interessant aber ist für Umweltschützer und Buchhalter gleichermaßen eine ganzheitliche Betrachtung der Abläufe.

Mittlerweile gibt es für dieses „Umweltmanagement“ auch eine europaweit geltende Norm, der TÜV sammelt bereits erste Erfahrungen mit der „Zertifizierung“ von Betrieben. Mit der Zeit dürfte sich die Zahl der Umweltberichte noch weiter erhöhen, denn wer die für das Umweltmanagement notwendigen Daten erst einmal erhoben hat, braucht sie im Prinzip nur noch zu Papier zu bringen.

Noch weiter will man in Holland und Dänemark gehen. In beiden Ländern sind gesetzliche Regelungen in Vorbereitung, die Unternehmen ab einer bestimmten Größe zur Erstellung eines Umweltberichts verpflichten. Einen solchen Rechenschaftszwang, natürlich verbunden mit der Überprüfung durch unabhängige Gutachter, hält Klaus Fichter für unbedingt notwendig, um die gebotene Transparenz in die umweltpolitische Faktenlage zu bringen und somit die öffentliche Diskussion über Saubermänner und Dreckschleudern der Nation zu gewährleisten.

Mit eher „gemischten Gefühlen“ hingegen sieht er, wie viele andere Experten auch, der beim Deutschen Institut für Normung in Vorbereitung befindlichen DIN 33922 entgegen, die als Leitfaden für die Erstellung von Umweltberichten fungieren soll – und das, obwohl das IöW bei der Ausarbeitung maßgeblich mitgewirkt hat. Normen legen schließlich immer nur Mindeststandards fest.

Sabine Braun macht gar grundsätzliche Zweifel geltend, ob sich auf diesem Weg gewährleisten läßt, was einen guten Umweltbericht letztendlich ausmacht: „Ich halte es für problematisch, einen Begriff wie ,Glaubwürdigkeit‘ zu normieren.“ Jochen Siemer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen