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Kein Nagel in die Wand ohne Erlaubnis

■ Vergangenheit in Stein und auf Papier – Überraschender Besucheransturm beim „Tag des offenen Denkmals“

Hunderte von Besuchern drängen sich vor dem Eingang: Der „Tag des offenen Denkmals“ war so gut besucht, daß viele ihr individuelles Tagesprogramm nicht mehr abhaken konnten. Das Interesse für die Geschichten, die sich hinter den Mauern verbergen, an denen man sonst alltäglich achtlos vorübergeht, ist größer als erwartet. Stellvertretend für die zwanzig vorgestern geöffneten Denkmale stellen wir hier zwei davon noch einmal dar: die Villa Michahelles und die Israelitische Töchterschule.

Die Villa Michahelles

„Na, jetzt mach ich es aber!“sagt die alte Dame und faßt das Messinggeländer im neobarocken Prunktreppenhaus einer Harvestehuder Villa an. Der demonstrative Trotz ist kaum zu verstehen, wüßte man nicht, daß es der heute 89jährigen Frau von Gyldenfeldt, der überraschend anwesenden Tochter des Erbauers, im elterlichen Hause verboten war, das auf goldenen Hochglanz polierte Geländer zu berühren. Ohnehin sollten die Kinder des damals berühmten Innenarchitekten Edgar Michahelles die Dienstbotentreppe benutzen.

Das ganze 1911 als Kopfbebauung einer Reihenvillenzeile gebaute Haus am Nonnenstieg war so etwas wie ein für Hamburg eigentlich viel zu protziges dreidimensionales Musterbuch. Eine Bibliothek mit goldenen Rocaillen auf chinesischem Rotlack ist erhalten, genauso wie ein mit freihängendem, goldenen Stuck übermäßig barockes Speisezimmer, von dessen Deckengemälde die Allegorien der Musik und des Gartenbaus herabschauen. Die Voltaire-Büste in der Nische über dem Kamin ist zwar genauso wie viele alte Beschläge verschwunden, insgesamt bietet das weitgehend restaurierte Haus aber einen herrschaftlichen Eindruck. Nachdem der letzte Nutzer ausgezogen ist, steht das Anwesen für 7,5 Millionen Mark zum Verkauf. Doch wer sich das leisten kann und dafür ein Objekt bekommt, in dem er nicht mal ohne Erlaubnis des Denkmalschutzamts einen Nagel einschlagen darf, ist ziemlich ungewiß.

Dabei ist eine schonende Nutzung das Wichtigste am Denkmalschutz, denn Museen gibt es schon genug. Gerade diese behutsamen Umnutzungen waren ja in Hamburg Thema des Tages: Kurz vor dem Abschluß präsentierte sich der Umbau des ehemaligen Krankenhauses von 1876 am Schlump zu einer ökologischen Wohnanlage oder die seit 1984 wohnlich und gewerblich genutzte Maschinenfabrik in der Ottenser Donnerstraße. Für die Sanierung des als Künstlerpension genutzten, vor 1800 gebauten Biedermeierhauses in der Langen Reihe 50 wird - auch aufgrund der großen Öffentlichkeitsresonanz - in den nächsten Wochen ein Sanierungskonzept erarbeitet. Das wäre auch vielen anderen Objekten der Denkmalliste zu wünschen.

Hajo Schiff

Die Israelitische Töchterschule

Die Lehrerin für Sprachbehinderte, Ursula Randt, arbeitete seit 1971 an der Schule in der Karolinenstraße 35, ohne das tragische Schicksal der ehemaligen Schülerinnen zu ahnen. Auf einem Fest 1977 sprach sie eine Unbekannte an: „Ich bin durch alle Stockwerke gelaufen. Nirgends erinnert etwas an die jüdische Mädchenschule. Wir sind wie ausgelöscht.“ UrsulaRandt ließ die Frau, die schnell verschwunden war, über eine Zei-tungsannonce suchen. Dies war der Beginn ihrer Spurenfindung.

Das Ergebnis ihrer mühevollen Arbeit wurde nun anläßlich des „Tags des offenen Denkmals“ eingeweiht. Eine Ausstellung, die viele Fotos und persönliche Dokumente, wie Aufsätze und Tagebucheinträge der Mädchen zeigt, werden im obersten Stockwerk der Schule präsentiert. Im Chemieraum gibt es in jeden Tisch integrierte Bunsenbrennerzuleitungen: für jedes Mädchen ein eigenes Experimentierfeld. Im Gegensatz zur Talmud Tora Schule für Jungen konnte sich die Mädchenschule nie in der sozialen Oberschicht durchsetzen. Sie blieb als Armenschule von der jüdischen Gemeinde finanziert.

Während des Ersten Weltkrieges zogen so viele jüdische Lehrer in den Krieg, daß sogar (!) Lehrerinnen eingestellt werden mußten, ein absolutes Novum. Fünf Mitglieder des Kollegiums fielen. In der Weimarer Republik folgte die Anerkennung als Realschule – doch dann der Einbruch. „In den kalten,grauen Wochen zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 1941 sind aus der Schule über 200 Kinder und Lehrer verschwunden. Irgendwo in fernen Ghettos und Lagern verloren sich ihre Spuren“, schreibt Ursula Randt in ihrem Buch über die Karolinenstraße 35. Den Kolleginnen gelang es unter größter Anstrengung, den verbleibenden Mädchen ein Gefühl der Sicherheit zu geben .

Die Hamburger Schulverwaltung räumte im Frühjahr 1942 die noch verbliebenen 100 Kinder ins Waisenhaus. 1943 mietete die Gestapo Räume zur Aktenablegung an, die 1945 verbrannten. So blieb der Schule die Sprengung erspart, die die Gestapo zur Spurenverwischung geplant hatte. Die Geschichte des Hauses glitt sehr schnell ins Vergessen, erst 1982 wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt.

1984 wurde die Inschrift „Israelitische Töchterschule“ frei gelegt, die vorher nur bei starker Sonne zu erahnen war. In den Stockwerken unter der Gedenkstätte bietet die VHS als Ort der politischen Diskussion Kurse zu jüdischer Identität und Leben heute, zur jüdischen Arbeiterbewegung, aber auch zu Täterschaften im Nationalsozialismus an. Kerstin Kellermann

Di und Do 14-18 Uhr, Rentzelstraße.

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