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Diepgens Fehlpaß auf dem Sparbolzplatz

■ Die landespolitischen Leitlinen von Eberhard Diepgen rufen Widerspruch bei der SPD und der Opposition hervor

Mit Wut und Ironie wurden gestern die „Leitlinien“ des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen für die zukünftige Landespolitik kommentiert. Die Opposition sieht in dem 11-Seiten-Papier Diepgens eine „soziale Katastrophe“ (Bündnis 90/Die Grünen) und „eine klare Absage an jegliche Reformbemühungen“ (PDS). Der Koalitionspartner SPD zeigte sich „erfreut“, daß der Regierende überhaupt etwas vorgelegt hat. „Das Papier wird aber so nicht beschlossen werden“, war sich Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) sicher. Es sei sozial nicht ausgewogen.

Diepgens Leitsätze heißen Härte bei den ZuwendungsempfängerInnen und Laisser-faire bei „steuerstarken Zuwanderern“. „Alle Bereiche der sozialen Grundversorgung“ müßten „einer Überprüfung hinsichtlich ihrer Unverzichtbarkeit“ unterzogen werden. Namentlich sind die Bereiche Flüchtlingsunterbringung, Frauenförderung und der Telebus genannt. Auf der anderen Seite will Diepgen Gutbetuchte in die Stadt locken. Dazu will er Eigentum fördern, insbesondere durch Eigenheimzuschüsse, die in Berlin sowieso schon höher sind als sonst irgendwo in der Republik.

Wie berichtet, will der Bürgermeister gegen die Koalitionsvereinbarung über 6.600 LehrerInnen verbeamten. Auch die innere Sicherheit ist dem CDU-Mann wichtig. Dort dürfe am Personal keinesfalls weiter gespart werden – vielmehr sei in die Polizeitechnik zu investieren.

Der Regierende Bürgermeister hatte den SenatorInnen die Leitlinien zum Wochenbeginn überraschend zugestellt. Laut Berliner Verfassung fehlt ihm aber die Kompetenz, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. „Wir freuen uns trotzdem, daß er jetzt auf dem Spielfeld ist“, begrüßte Finanzsprecher Frank Zimmermann die Anstöße Diepgens im Grundsatz. Ob jeder Paß den richtigen Mann finde, sei jedoch fraglich. Die SPD kündigte Standhaftigkeit ihrer Partei gegen Punkte des Programms an, das Diepgen nächste Woche dem Senat zum Beschluß vorlegen will. Dazu zählt die Verbeamtung der OstlehrerInnen und die soziale Komponente. „Das kann mit Sozialdemokraten nicht gehen“, sagte der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Klaus-Uwe Benneter, „weil die Leitlinien nichts mit Sozialverträglichkeit zu tun haben.“

Widersprüchlich wurde der Vorschlag der „antizyklischen Wirtschaftspolitik“ interpretiert, die Diepgen mit dem Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1969 begründete: Danach investiert der Staat immer dann, wenn die Wirtschaft lahmt. „Das spricht die Sprache der CDU-Fraktion“, meinte deren Sprecher Markus Kaufmann. „Berlin würde sich überheben, mit den Mitteln eines Stadtstaates ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht herstellen zu wollen“, teilte dagegen die Finanzsenatorin mit. Diepgen hatte vorgeschlagen, einer global agierenden Wirtschaft lokal die besten Standortbedingungen zu bieten. Dazu müßten alle Landesgesetze überprüft werden, die für die Wirtschaft eine Belastung darstellen. Auch die bereits beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuer stellt Diepgen zur Disposition.

Trotz starker Worte von SPD- Senator Peter Strieder („nicht auf Diepgens Provokationen hereinfallen“), mißtraut die Opposition dem politischen Rückgrat der Sozialdemokraten. Die Grünen wollen die SPDlerInnen für einen überfraktionellen Antrag gewinnen, um überproportionale Kürzungen bei Frauenprojekten sowie in der Flüchtlings- und MigrantInnenarbeit zu verhindern. Die PDS fragte, wie lange die SPD „dieser Katastrophenpolitik noch ihren Segen geben wird“. Christian Füller

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