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Schönes, neues Oberhausen

■ Endlich: Deutschlands erste wahre Shopping-Mall

Irgendeine mittelmäßige Werbeagentur hat sich als Symbol für Oberhausen vor ein paar Jahren ein barockes, pausbäckiges „O“ ausgedacht. So rund und saftig und jenseits aller Tatsachen, daß es die Einheimischen angesichts der realen Oberhausener Ödnis stets als „Null“ gelesen haben, etwa im Sinne von: Nichts, Neutrum, Leere.

Oberhausen, nordwestliches Ruhrgebiet, mehr Einwohner als Landeshauptstädte wie Mainz, Kiel, Saarbrücken. Die Kommune gilt selbst unter Ruhries als Tiefpunkt im Revier. Markantestes Bauwerk: ein Gasometer. Genau in diese von der Kohle- und Stahlindustrie verlassene Prärie beschlossen britische Investoren, Deutschlands erste wahre Shopping- Mall zu implantieren. Heute öffnet CentrO – hier treffen wir die Null wieder: ein künstliches Herz für eine künstliche Stadt. Gestylt als Konsumkathedrale, ist es eine Art Disney World für alles, was man mit Geld kaufen kann. 220 Geschäfte, künstliche Plazas und zur Erbauung ein Multiplexkino nebst einer „Arena“ mit 11.500 Plätzen für Popkonzerte.

Dem Ruhrgebiet wird schon lange nachgesagt, daß es die amerikanischste aller Regionen in Europa sei. Vor allem die junge Generation cruist mit dem Auto über die Motorways der Megastadt wie ihre Vorbilder in Los Angeles. Man konsumiert in Fußballstadien, Poparenen, in Drive-ins, kurvt über die Parkplätze der Einkaufszentren und steht Schlange in Multiplexkinos oder bei den vier großen Musical-Fabriken. Ein Erlebnis kostet Geld, Konsum ist alles. Lebensphilosophien kommen aus dem Kino, Popcorn kostet extra.

Das Leben als Renditeobjekt. Die Überschüsse aus dem Arbeitsleben werden verkonsumiert. Nichts ist umsonst – jedenfalls nichts, was Spaß macht. Im CentrO geht es nur vordergründig um neue Arbeitsplätze, um den drohenden Kaufkraftabzug aus den Stadtzentren oder um die strahlende Dienstleistungszukunft des Ruhrgebiets. CentrO ist mehr. Ein sichtbarer Tempel für eine sich global durchsetzende Ideologie: Konsum als Lebensinhalt, Kommerz stilisiert zum Kultursurrogat. Wo vorher das Nichts ist, ist der Kaufrausch ziemlich konkurrenzlos. Übrigens: Was machen Sie eigentlich in ihrer Freizeit, ohne dafür Geld auszugeben? Freddie Röckenhaus

Bericht Seite 7

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