Neonazis senden im Offenen Kanal

■ Mitglieder der Kameradschaft Beusselkiez produzieren im Offenen Kanal eine monatliche Radiosendung. Verfassungsschutzchef schätzt Sendungen als „gefährlich“ und „hart an der Grenze“ ein

Sie begrüßen sich mit „Heil Euch Kameraden“ und verabschieden sich mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes und „Heil Deutschland“. Seit einem halben Jahr senden Neonazis aus dem Umfeld der „Kameradschaft Beusselkiez“ monatlich eine einstündige Magazinsendung im Hörfunkprogramm des Offenen Kanals.

Erst unter dem Namen „Radio Deutschland“, jetzt unter „Radio Germania“ verbreiten sie – teilweise unter Polizeischutz – Neuigkeiten aus der Neonaziszene, spielen Musik von Nazibands wie „Freikorps“ und „Radikahl“. Hauptthema in den Germania- „Nachrichten“ in der letzten Sendung Ende August waren beispielsweise die teilweise verbotenen Demonstrationen anläßlich des neunten Todestages von Rudolf Heß.

Die Moderatoren sind in der Naziszene stadtbekannt: Nicolas Wernicke betreibt ein Infotelefon der Republikaner in Charlottenburg, Mike Penkert war Direktkandidat für die „Nationalen“ für die Abgeordnetenhauswahlen im vergangenen Jahr. Er soll außerdem laut Verfassungsschutzbericht Aktivist in der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP) gewesen sein. Penkert ist nach Angaben des Verfassungsschutzes jetzt „Leiter“ der „Kameradschaft Beusselkiez“. Die Gruppe verteilt seit einigen Monaten in Moabit Flugblätter, auf denen sie einen „nationalen Sozialismus“ mit einer „artgerechten Siedlungsplanung, ohne Überfremdung durch Ausländer“ fordern. Nach Auskunft von Verfassungsschutzchef Eduard Vermander paßt „Radio Germania“ in das Konzept der Neuorganisierung der Neonaziszene zu „informelleren Zirkeln“. Es gebe die Tendenz, eine „Gegenöffentlichkeit“ zu schaffen, mit Infotelefonen, Mail Boxen und eben auch mit Radiosendungen.

Gegen die Sendungen anzugehen gestaltet sich, wie der Leiter des Offenen Kanals Jürgen Linke sagt, schwierig. Die Landesmedienanstalt kann die Sendung nur absetzen, wenn sie gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt. Jürgen Linke geht auf Distanz zu „Radio Germania“, besteht aber auf dem Prinzip des Amateursenders, daß „alle Leute, die zu uns kommen, senden dürfen“. Voraussetzung sei, daß die Sendungen keine Gesetzesverstöße enthielten.

Daß unter Polizeischutz moderiert werde, hatte Linke in seiner fast zehnjährigen Tätigkeit beim Offenen Kanal zuvor noch nie erlebt. Die Radiomacher hätten die Anwesenheit von Zivilpolizisten vor und im Gebäude des Offenen Kanals damit begründet, daß sie live sendeten und vorher bedroht worden seien. Die Polizei wollte dazu keine Stellungnahme abgeben. Für Verfassungsschutzchef Vermander liegen die Sendungen „hart an der Grenze“. Er schätzt sie als „gefährlich“ ein, weil sie das „entsprechende Gedankengut“ transportierten und das Ziel hätten, „junge Leute anzupolitisieren“.

Im Gegensatz zum Leiter des Offenen Kanals, der sich gegen ein Verbot von „Radio Germania“ ausspricht – die nächste Sendung läuft am Donnerstag –, ist die für Medieninhalte zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg skeptischer: „Die Radiosendungen machen uns große Sorge“, sagt Pressesprecherin Susanne Grams. Doch auch sie betont, daß sich die Medienanstalt nur dann einschalten könne, wenn strafrechtliche Bestimmungen berührt worden seien.

Das ist in den vergangenen Monaten allerdings nur ein einziges Mal der Fall gewesen. Wegen eines Liedes von Frank Rennicke, der Mitglied in der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend war, stufte die Medienanstalt eine Sendung Ende April als „potentiell jugendgefährdend“ ein. Begründung: Das Lied beinhalte revisionistisches Gedankengut.

Der für diese Sendung verantwortliche Lutz Giesen mußte sich laut Grams einem Anhörungsverfahren unterziehen und darf zukünftig keine weiteren Sendungen mehr anmelden. Er darf jedoch weiter moderieren. Giesen ist ebenfalls bei der Kameradschaft Beusselkiez und bei einer Berlin- Brandenburger Zeitung, die von den „Nationalen“ herausgegeben wird, aktiv.

Die Medienanstalt versuche, so Grams, das Problem „auf kleiner Flamme zu kochen“. Jedoch soll es in den nächsten Tagen in der Medienanstalt Diskussionen über die Handhabung solcher Sendungen geben. Am nächsten Freitag wird im Medienausschuß des Abgeordnetenhauses die Konzeption des Offenen Kanals erörtert. Dort soll, so die medienpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen Alice Ströver, auch „Radio Germania“ angesprochen werden. Julia Naumann