: Am Ende siegte wieder die Routine
Monatelang schien das Kürzungspaket der Bundesregierung zu wackeln. Doch weder Proteste, SPD noch CDU-Kritiker konnten am Ende die Verabschiedung im Bundestag verhindern ■ Aus Bonn Markus Franz
Nun ist es also passiert: Der Sozialstaat ist geschliffen, der Marsch in eine andere Republik eingeleitet, Kapitalismus pur eingetreten. Davor hatten jedenfalls die Oppositionsparteien und Gewerkschaften gewarnt, als das Kabinett im Mai dieses Jahres ihr Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung beschlossen hatte. Hunderttausende sind seitdem gegen das sogenannte Sparpaket auf die Straße gegangen, der Bundesrat hat aufbegehrt, der Bundestag mußte Sondersitzungen fahren, ein Vermittlungsausschuß versuchte zu vermitteln. Der gestrige Tag hat gezeigt, was alles Bemühen gebracht hat: so gut wie nichts.
Wolfgang Schäuble hat es schon am 16. Juli sattzufrieden gewußt: „Am 13. September gegen 11 Uhr, auf die Stunde lege ich mich nicht fest“, sagte der CDU-Fraktionschef in einer Pressekonferenz entspannt, werde die Koalition im Bundestag mit allen Stimmen den Einspruch des Bundesrats gegen das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ablehnen. Dabei standen immerhin noch zwei Sitzungen des Bundesrats, eine des Vermittlungsausschusses und zwei des Bundestags bevor. „Den ganzen Zirkus“, fand Schäuble, „könnte man sich sparen.“
Schäuble hatte gerade die vielleicht ernsthafteste Schlacht zur Durchsetzung des Sparpakets geschlagen. Gefahr drohte nur aus den eigenen Reihen. Die SPD kann mit der sogenannten Kanzlermehrheit in Schach gehalten werden. Vorausgesetzt, daß nicht mehr als vier Abgeordnete der Koalition gegen das Sparpaket stimmen. Und nun hatten also ostdeutsche CDU-Abgeordnete in den ersten Julitagen den Aufstand geprobt. Politiker wie der Chemnitzer Wolfgang Dehnel wurden damit zitiert, daß die ostdeutschen Abgeordneten ihre Zustimmung zum Sparpaket von einem Verzicht auf die drastische Kürzung der ABM-Mittel für die neuen Länder abhängig machen wollten. Doch die Aufmüpfigen hatten die Rechnung nicht mit Schäuble gemacht. Ein paar Telefongespräche, und schon konnte der verlängerte Arm des Kanzlers vor einer enttäuschten Journalistenschar von „völligem Einvernehmen mit allen Beteiligten“ sprechen.
Richtig an all dem Gerede über den Widerstand der 65 Ostbundestagsabgeordneten sei nur, so Schäuble süffisant, „daß es 65 Bundestagsabgeordnete aus den neuen Bundesländern gibt“. Seitdem war von koalitionsinternem Widerspruch keine Rede mehr.
Zu Beginn der Diskussion über das Sparpaket hatte lediglich der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Rainer Eppelmann, aufhorchen lassen. Als einziger CDU- Abgeordneter stimmte er intern gegen das Sparpaket. 70 CDU-Abgeordnete stünden auf seiner Seite, verkündete er im taz-Interview. Seine Hauptkritikpunkte: die Einschränkung des Kündigungsschutzes und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Frauen. Doch schon wenig später ließ Eppelmann verlauten: Er wolle nicht den Kanzler stürzen, indem er mit der Opposition stimme. Noch immer, räumt Eppelmann ein, hege er Zweifel, ob die Einschränkung des Kündigungsschutzes tatsächlich mehr Arbeitsplätze schaffen könne.
Nicht zuletzt seinem Einsatz schreibt er zu, daß sich die Koalition schließlich zu marginalen Änderungen beim Sparpaket entschied: Die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters für Frauen tritt nun erst ein paar Jahre später in Kraft, und beim Kündigungsschutz gilt drei Jahre lang Vertrauensschutz für alle bereits Beschäftigten.
Die Opposition macht dagegen gar nicht erst den Versuch, ihrem Widerstand gegen das Sparpaket ein Erfolgserlebnis abzuringen. Mehr als die Verabschiedung des Gesetzes um einige Monate hinauszuzögern war ihr nicht beschieden. Spannend allein ist die Frage, ob ihr trotz der widerspenstigen Gerhard Schröder und Heide Simonis wenigstens das gelingen würde. Für die SPD gilt es jetzt, diejenigen Maßnahmen des Sparpakets zu Fall zu bringen, die die Zustimmung des Bundesrats bedürfen – wie etwa die Erhöhung des Kindergelds. SPD-Chef Oskar Lafontaine macht es dabei auch nicht anders als die CDU-Oberen. Genossen, die ausscheren wollen, pfeift er zurück. So wie den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, der zunächst verkündete, der Aufschiebung des Kindergelds zugunsten von Arbeitsförderungsmaßnahmen zustimmen zu können. Auch beim Jahressteuergesetz 1997 muß der Bundesrat zustimmen. Diesmal kann sich die Koalition abstrampeln, wie sie will. Ohne die Opposition geht gar nichts.
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