: „Keine gerechte Abwägung“
Altenwerder: Das Oberverwaltungsgericht befindet heute über die Hafenerweiterung ■ Von Heike Haarhoff
Nur ein Verhandlungstag ist angesetzt; mit einer Entscheidung für oder gegen Altenwerder wird gerechnet. Heute wird vor dem Hamburger Oberverwaltungsgericht (OVG) verhandelt, ob der Ausbau des Hafens auf der Elbinsel Altenwerder zulässig ist. Der gegen die Hafenerweiterung klagende Altenwerder-Grundeigentümer Werner Boelke bestreitet das.
Nach mehr als 30jähriger Planungszeit hatte die Hamburger Wirtschaftsbehörde Ende Mai 1995 per Planfeststellungsbeschluß befunden, einer Zerstörung des 235 Hektar großen Biotops Altenwerder zugunsten eines gigantischen Hafen-Containerterminals stehe nichts mehr im Wege. Unverzüglich sollte mit den Bauarbeiten begonnen werden. Werner Boelke, der mit seiner Familie seit mehr als 40 Jahren in dem ehemaligen Fischerdorf lebt, sieht seine Existenz bedroht: Dort, wo sein Haus und sein Garten liegen, wird nach den behördlichen Plänen künftig Elbwasser in einem Hafenbecken mit Kaimauer plätschern.
Boelke zog, mit Unterstützung mehrerer Naturschutzverbände, erfolgreich vor Gericht. Das Hamburger Verwaltungsgericht verhängte Ende März 1996 einen Baustopp. Solange nicht geklärt sei, ob – und dagegen spreche vieles – das Planverfahren für die Hafenerweiterung überhaupt rechtmäßig sei, dürfe kein Grashalm in Altenwerder gekrümmt werden. Die Behörde rügte das Verwaltungsgericht zudem wegen schlampiger Planung, Verfahrensfehlern und vor allem des Versäumnisses, die als ökologische „Entschädigung“ vorgesehene Öffnung des Flusses Alte Süderelbe rechtlich abgesichert zu haben. Zerknirscht reichte die Wirtschaftsbehörde bei der nächsthöheren Instanz Beschwerde ein. Und über die wird heute gerichtet.
Boelkes Rechtsanwälte Martin Hack und Michael Günther sehen dem Termin „gelassen“ entgegen. Vorsichtshalber aber haben sie dem OVG ihre geballte Kritik noch einmal in einem 25seitigen Kompakt-Mängel-Paket zugestellt. Anwalt Günther will dabei insbesondere geklärt haben, ob das hamburgeigene Hafenentwicklungsgesetz (HafenEG) von 1982, auf dem sämtliche Planungen für die Hafenerweiterung basieren und das angeblich selbst Bundesrecht brechen können soll, nicht rechtswidrig ist.
Im Gegensatz zu anderen Sondergesetzen zur Realisierung von Großprojekten wie Flughäfen oder Autobahnen befreie das HafenEG die Planenden von der Pflicht, den späteren Nutzen für das Allgemeinwohl nachweisen zu müssen. Günther: „Eine gerechte Abwägung zwischen den beteiligten privaten Belangen hat nicht stattgefunden.“ Sollte sich das OVG Günthers Argumentation anschließen, daß das HafenEG „in für den Rechtsstaat bedenklicher Weise Neuland beschreitet“, wären die Planungen im gesamten Hafen hinfällig.
Ferner bemängelt der Anwalt Fehler „bei der Abwägung des Standorts“: Man habe weder Alternativ-Standorte geprüft noch den Verlust Altenwerders als potentielles Siedlungsgebiet gegenüber den Zielen der Hafenerweiterung bewertet. Die Beurteilung der Lärmbelastung sei „unzutreffend“ und die Umweltverträglichkeitsuntersuchung ebenso unvollständig wie die Kosten-Nutzen-Analyse, der Planungsgrundsatz, sparsam mit Flächen umzugehen, mißachtet worden. Ein Nachweis für den dringenden und konkreten Bedarf des Hafenbaus fehle weiterhin.
Außerdem, amüsiert sich Günther, wisse die Wirtschaftsbehörde wohl nicht, in welcher Form der Planfeststellungsbeschluß zur Hafenerweiterung dem klagenden Boelke hätte zugestellt werden müssen. Am Alten Steinweg stopfte man lediglich lose Blätter in einen Umschlag, anstatt diese ordnungsgemäß zusammenzuheften: „Ein Verstoß gegen die Schriftform führt aber zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes“, schmunzelt der Anwalt.
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