: Der Papst beweist großes Feingefühl
150.000 Gläubige empfangen das Oberhaupt der katholischen Kirche auf der letzten Station seiner Frankreichreise. Viele haben die Nacht im Katholikenstau auf der Autobahn verbracht ■ Aus Reims Dorothea Hahn
Als sie zum ersten Mal darüber gesprochen haben, gab es bei den 16jährigen Schülern aus der katholischen Privatschule im Pariser Westen eine Menge Einwände gegen die Fahrt nach Reims. „Keine Zeit“ und „Das ist mein freier Sonntag“ waren die Hauptargumente, erklärt Alienoire. Gestern morgen um zwei Uhr saß sie dann doch mit der Mehrheit ihrer Klassenkameraden in dem Bus, der sie zum letzten Auftritt des Papstes in Frankreich kutschierte.
Weil sie die 150 Kilometer nach Osten zurückgelegt haben, nennen sich die Gymnasiasten „Pilger“. Sie wollten dem Papst zeigen, „daß es noch Christen in Frankreich gibt“, sagen sie. Das ist ihnen gelungen. Über 150.000 Menschen sind zu der Feldmesse auf der Luftwaffenbasis 112 südlich von Reims gekommen – in Bussen, die die Gemeinden Frankreichs seit Monaten organisiert haben, und im Privatwagen. Viele haben die Nacht im Katholikenstau auf der Autobahn verbracht. Andere sind vorsorglich schon am Vorabend angereist und haben der Kälte in einem improvisierten Lager unter offenem Himmel in Schlafsäcken getrotzt.
Um drei Uhr gestern morgen haben die Militärs die Basis geöffnet. Und die ersten Pilger haben sich an den Absperrgittern aufgestellt, die bereits nachts den späteren Weg des Papamobils markierten. Sechs Stunden danach ist das hohe Gras platt getreten. Eine junge Frau hat einen Poncho und noch einen Anorak über ihr Wollkleid gezogen, die Hände eines Jungen gefaßt und dreht sich mit ihm ganz schnell und wärmend im Kreis. Ihr offenes Haar weht durch die Luft. An ihren flachen Schuhen klebt Lehm. Pfadfinder – die Jungen mit kurzen blauen Hosen, die Mädchen mit Hosenröcken – spielen Fußball. Die Lautsprecher übertragen Orgelmusik und Gebete.
Ununterbrochen ziehen Menschen zwischen den Kasernengebäuden auf das große Gelände. Viele Alte. Aber auch die mittlere Generation und vor allem die Jungen sind zahlreich vertreten. Manche tragen Standarten ihrer Lieblingsjungfrau vor sich her. Es gibt Schilder mit Aufschriften wie: „Heiliger Vater, Frankreich liebt dich“ und „Herz Jesu, rette uns“. Sie kleben oben an langen Stöcken und dienen u.a. dem Zweck, die Reisegruppen in der Menschenmasse zusammenzuhalten.
Der Bürgermeister von Reims hat an diesem Sonntag die Innenstadt gesperrt und rundum große Parkplätze eingerichtet. Alle paar Minuten fahren von dort aus kostenlos städtische Busse zu der Luftwaffenbasis. Honiggelbe Metallschilder, die eigens für die Gelegenheit geprägt wurden, weisen schon von der Autobahn aus den Weg zu der Messe des Papstes. Sehr viel mehr durfte die Stadt nicht für ihren Besucher aus dem Vatikan tun. Nicht einmal das Podium für den Papst durfte sie bauen. Laizisten hatten gegen die Verwendung von 1,5 Millionen Franc, rund eine halbe Million Mark, aus dem Staatshaushalt geklagt. Die Richter bestätigten, daß das ein Verstoß gegen die gesetzliche Trennung von Staat und Kirche wäre, die seit 1905 in Kraft ist.
Eine knappe halbe Million Menschen hat der Papst in den vier Tagen seines Frankreichbesuchs auf die Beine gebracht. In der Bretagne kamen am Freitag zwar weniger als von der katholischen Kirche erwartet. Aber es waren immer noch 120.000 „Pilger“ da. Niemand sonst hat in der jüngeren Vergangenheit derartig viel mobilisiert. Der lange und öffentlich ausgetragene Streit im Vorfeld des Papstbesuchs hat den Zulauf sogar noch erhöht.
„Ungeheuerlich“, „idiotisch“ und „intolerant“ finden die katholischen Jugendlichen aus dem Pariser Westen die Kampagne gegen den Papstbesuch. „Wer ihn nicht sehen will, kann ja zu Hause bleiben“, meint Alienoire. Der Großvater, der mit seinen fünf Enkeln nach Reims gekommen ist, erklärt die Proteste mit alten französischen Traditionen und dem Evangelium. Angst machen sie ihm aber nicht. Schon die Französische Revolution habe sich gegen die Kirche gerichtet. Und angesichts des nahenden Jahrtausends sei nun eben wieder der „Antichrist“ im Einsatz. Der Großvater gehört zu jenen Traditionalisten, denen selbst der Papst zu aufgeschlossen ist. In Frankreich sind sie stark. Sie sorgen dafür, daß die Demonstrationen der Abtreibungsgegner groß und die Kirchen voll sind. Sie stellen auch in Reims einen beträchtlichen Teil der Teilnehmer. In einer Anzeige, die in diesen Tagen fast in allen französischen Zeitungen erschienen ist, bitten sie den Papst, sich für die Rückkehr zu der alten Ordnung stark zu machen. Ökumenische Gottesdienste, Verständnis für Geschiedene und Laschheit im Umgang mit dem Präservativ sind ihnen ein Greuel.
Der Frankenkönig Chlodwig ist in Reims ein wenig in den Hintergrund getreten. Der 1.500. Jahrestag seiner Taufe war der ursprüngliche Anlaß für diese Messe und für den Zeitpunkt des Papstbesuchs. Die offizielle katholische Kirche nennt jenes Ereignis, über das es mehr Legenden als übermittelte Fakten gibt, gewöhnlich die „Taufe Frankreichs“. An jenem Kriegerkönig aus dem 5. Jahrhundert, der die Alemannen besiegte, die Germanen insgesamt in Schach hielt und den Siegeszug der katholischen Kirche in das spätere Frankreich einleitete, entzündeten sich die Gemüter. Selbst in der katholischen Kirche ist seine historische Rolle umstritten.
Im Gefolge des Chlodwig- Streits ging Staatspräsident Jacques Chirac auf deutliche Distanz zum Papstbesuch und beschränkte sich darauf, das „Staatsoberhaupt“ Papst zu begrüßen, statt es während seiner Tage in Frankreich zu begleiten. Von allen französischen Parteien traut sich nur noch die rechtsextreme Front National, von Chlodwig als einem „französischen Helden“ zu sprechen.
Auf der Luftwaffenbasis in Reims ist überhaupt kein nationaler Politiker zugegen, als gestern vormittag der Papst in einer Maschine der Französischen Republik einfliegt. Er wird von örtlichen Notabeln und von sämtlichen Bischöfen Frankreichs empfangen. Auch der des Amtes enthobene Bischof von Evreux ist zugegen und genauso eierschalenweiß gekleidet wie seine Kollegen.
Der Papst fährt im gläsernen Mobil durch die Menschenmenge, stehend grüßt und segnet er mit der Hand nach links und rechts. Als er ganz allein auf der obersten Stufe des Podiums thront, beweist er Feingefühl. Während die Demonstration der laizistischen Papstgegner mit 5.000 Teilnehmern in Paris zum Flop gerät, spricht der Papst statt zu den Traditionalisten zu allen Franzosen. Der Begriff „Taufe Frankreichs“ und das umstrittene Wort von „Frankreich als der ältesten Tochter der Kirche“ kommen in seiner Predigt nicht vor. Statt dessen nennt er Chlodwigs Taufe eine „wie jede andere auch“.
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