piwik no script img

Volle Lohnzahlung an Kranke ärgert Arbeitgeber

■ Heftige Kritik der Arbeitgeber am neuen Tarifvertrag für NRW-Einzelhandel. HBV sichert Hundertprozentregelung im Krankheitsfall bis 1998. Metaller drohen

Berlin (taz/dpa/AP) – Der volle Erhalt der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den nordrhein- westfälischen Einzelhandel läßt die Arbeitgeber zerknirscht zurück. Nach dem Abschluß des Tarifvertrags, der am Freitag abend verkündet worden war, warfen sie der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) Erpressung vor. Entgegen der jüngst im Bundestag beschlossenen Änderung zur Lohnfortzahlung hatten sich die Tarifpartner darauf geeinigt, den rund 500.000 Angestellten in Nordrhein-Westfalen bis zum Frühjahr 1998 im Krankheitsfall weiterhin 100 Prozent des Lohns auszuzahlen.

Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Holger Wenzel, warf der HBV vor, rücksichtslos die gesetzlichen Veränderungen zur Lohnfortzahlung und zu den Ladenöffnungszeiten für die Verhandlungen ausgenutzt zu haben. Man habe eine Lösung finden müssen, damit die Einzelhändler zum 1. November überhaupt länger öffnen könnten. Eine Austrittswelle aus den Einzelhandelsverbänden erwartet Wenzel jedoch nicht: „Ich hoffe, daß es gelingt, die Mitglieder von dem Abschluß zu überzeugen.“ Die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raane wies die Kritik zurück. So sei es den Gewerkschaften zum Beispiel schwer gefallen, den Manteltarifvertrag bis 1999 zu verlängern.

Im Tarifvertrag werden unter anderem Freizeitzuschläge von 20 Prozent für die Arbeitszeit von 18.30 bis 20 Uhr und samstags zwischen 14 und 16 Uhr festgeschrieben. Für das sogenannte Zuendebedienen fallen Aufschläge von 40 Prozent an. Ferner erhalten alle Beschäftigten rückwirkend zum 1. April 1,85 Prozent mehr Lohn und Gehalt.

Unterdessen geht der Streit um die Lohnfortzahlung weiter. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) warnte die Arbeitgeber vor einer Mißachtung geltender Tarifverträge. Das neue Gesetz sei nur Grundlage für Neuregelungen. Vertragsregelungen „gelten selbstverständlich weiter, bis sie auslaufen oder in einem ordentlichen Verfahren gekündigt werden“, sagte Blüm gestern. Nur, wo es keine Regelungen in den Tarifverträgen gebe oder die Verträge nur auf das Gesetz verwiesen, „gelten die Einschränkungen unmittelbar“. Dagegen will der künftige Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die Kürzung sofort umsetzen. „Natürlich werden wir jetzt alle Möglichkeiten in den Tarifverträgen ausschöpfen, um das neue Gesetz anzuwenden“, sagte er am Wochenende. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel drohte erneut mit Streiks: Seine Gewerkschaft sei bereit, die „betriebliche Machtfrage zu stellen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen