: Das kann man wieder machen
■ In Hamburg spielen Behinderte neben Nichtbehinderten in Barbara Neureiters Fassung des „Sommernachtstraum“
Wenn man ein Theaterstück mit geistig Behinderten entwickelt, gibt es verschiedene Fallen. Zwei davon sind, daß man ihre Würde und Autonomie mißachtet oder sich, im Gegenteil, von Pädagogen dazu verleiten läßt, politisch korrekt zu arbeiten. Aber selbst wenn man beides verhindern kann, ist es fraglich, ob aus der Zusammenarbeit auch wirklich ein Theaterstück entsteht. Denn kreative Sozialarbeit für ein Publikum aus Gutmeinern und Verwandten schafft zwar ein emotionales Zwischenhoch für die Behinderten, ist aber noch lange kein Garant dafür, daß das Wandeln zwischen den Welten auf der Bühne auch eine künstlerische Qualität hat.
Diese Vorrede ist nötig, weil sie die enorme Skepsis beschreibt, mit der sich die Hamburger Regisseurin Barbara Neureiter konfrontiert sah, bevor die Premiere ihres „Sommernachtstraum“-Projekts mit Behinderten und Nichtbehinderten zeigte, wie diese Konstellation einen grandiosen Theaterabend ergeben kann. Denn während etwa der Berliner Sonnenuhr- Verein mit dem Theater RambaZamba seit Jahren in dieser Richtung arbeitet, führte Neureiter ihre Darsteller auf Neuland, selbst wenn sie an die künstlerische Arbeit anknüpfen konnte, die die Hamburger Stiftung Alsterdorf den geistig Behinderten ermöglicht und die durch die beiden Musikprojekte der Station 17 bereits nationale Berühmtheit erlangt hat.
Aus diesen beiden Gruppen rekurrieren sich die meisten der neun geistig behinderten Schauspieler, die in der zweistündigen Shakespeare-Adaption Titanias Elfen, die Handwerker und sich selbst spielten. Und dadurch, daß Neureiter genau hinsah, wo die Talente und Euphorien ihrer Truppe angesiedelt sind, konnte sie Szenen entwerfen, deren Poesie aus ihrer Selbstverständlichkeit erwächst.
So erzählt Willy, nachdem die Behinderten sich aus dem bühnengreifenden Nachthimmel geschnitten haben, von einem Ausflug der Alsterdorfer in den Sachsenwald („Das war gut. Das kann man wieder machen.“). Und ein anderer, der stets brünstig grunzt und von Frauen verlangt, daß sie sich nackt ausziehen, ist als Esel so gelungen, daß niemand auf die Idee kommt, diese Besetzung zu hinterfragen. Der Puck ist hier mehr ein Anführer der Elfen, und indem mit Stefan Kurt ein Schauspieler gewonnen werden konnte, der sie mit genialer Frechheit und völlig unpossierlich anstachelt, entwickelt sich im Verlauf des Abends die Komik einiger der behinderten Hauptdarsteller immer unbefangener – und das Publikum lacht ebenso unbefangen Tränen.
Sowohl Kurt als auch FM Einheit, der die Bühnenmusik komponiert hat, haben dabei aufmerksam und erfolgreich von ihren Darstellern stibitzt. So basieren Songs und Zwischenmusiken auf den mitgebrachten Lieblingsplatten der Elfen (Schlager, Abba oder Trommelmusik), die FM Einheit so transformiert, daß sie auf beiden Seiten des blauen Strichs, der die Bühne vom Zuschauerraum trennt, ergreifend wirken.
Während Kurt und die neun behinderten Schauspieler die versponnene und lustige Atmosphäre des Waldes reich illustrieren, liefert Neureiter mit den entscheidenden Textfragmenten und den Schauspielern ihrer Gruppe Babylon die eigentliche Geschichte als Gerüst und Gegengewicht. Und so gelingt es, spannend, bilderreich und unterhaltend, zwei Welten in einem gemeinsamen Traum zu verschmelzen. Till Briegleb
Babylon/Station 17: „Sommernachtstraum“. Regie: Barbara Neureiter, Musik: FM Einheit, Bühne: Barbara Bilabel/Zazie Knepper. Weitere Aufführungen vom 3. bis 6. Oktober, Kampnagel Hamburg
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