: Taliban-Milizen auf dem Vormarsch
■ Zwei Drittel Afghanistans sind jetzt unter Kontrolle der Fundamentalistentruppe, die von Pakistan unterstützt wird
Frankfurt/Kabul (AP/IPS/taz) – Der militärische Vormarsch der islamischen Taliban-Milizen hat den vergessenen Bürgerkrieg in Afghanistan wieder ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Seit drei Wochen erzielen sie einen militärischen Erfolg nach dem anderen. Zuletzt nahmen sie die strategisch wichtige Stadt Dschalalabad, 75 Kilometer vor der Hauptstadt Kabul, ein. Die Regierungstruppen um den Präsidenten Burhanuddin Rabbani geraten in Bedrängnis.
Die Provinzen Laghman und Kunar sind in den Händen der Taliban. Die Kämpfer der Taliban, die erst vor zwei Jahren in den Krieg am Hindukusch eingriffen, beherrschen damit insgesamt zwei Drittel Afghanistans, darunter drei der fünf wichtigsten Städte des Landes. Nur noch Kabul und Mazar el-Sharif im Norden, das Zentrum des Usbekenführers und Kriegsgenerals Abdul Raschid Dostam, trennen sie von der Beherrschung des ganzen Landes. Die Regierungstruppen und die Talaban-Milizen bereiten sich offensichtlich auf eine Entscheidungsschlacht bei der Stadt Sairobi, 100 Kilometer östlich von Kabul, vor. Noch verfügen die Regierungstruppen nach Ansicht von Beobachtern über das modernere Waffenarsenal.
Ein Sieg der Taliban und mit ihm die Errichtung eines muslimischen Gottesstaats scheinen nicht mehr in weiter Ferne. Die meisten Krieger der Taliban sind jung und wurden in Koranschulen in Pakistan ausgebildet. In den von ihnen eroberten Gebieten, vor allem in Herat, Kandahar und Dschalalabad, haben die Taliban ein rigoroses islamisches Gesellschaftssystem eingeführt. Allen Frauen außer Krankenschwestern wurde verboten, außer Haus zu arbeiten. Mädchen dürfen nicht mehr gemeinsam mit Jungen unterrichtet werden. In einzelnen Regionen haben die Taliban auch Fernsehen, Sport und Musik untersagt. Dabei hat die Regierung in Kabul bereits weitgehend islamisches Recht im Land durchgesetzt. Frauen müssen wieder den Schleier tragen. Männer und Frauen dürfen an Arbeitsstätten nicht mehr gemeinsam einer Beschäftigung nachgehen. Die Taliban wollen das islamische Recht noch verschärfen. Frauen sollen das Haus nur noch in Begleitung eines Mannes verlassen dürfen. Dieben sollen zur Strafe Hände oder Füße amputiert werden.
Von Dschalalabad nach Kabul sind es nur 75 Kilometer, und wer die Hauptstadt beherrscht ist Herr Afghanistans. Zehntausende Menschen sind den Kämpfen seit dem Sturz der kommunistischen Regierung Nadschibullah vor vier Jahren zum Opfer gefallen. Hunderttausende sind geflohen. Viele von ihnen fanden in Pakistan Zuflucht. Alle Versuche der UNO, die verfeindeten Parteien zu einer Verhandlungslösung zu bewegen, sind kläglich gescheitert. Auch der deutsche UN-Gesandte, Norbert Holl, hatte bislang keinen Erfolg.
Rabbani hatte sich vor vier Monaten mit seinem Widersacher Gulbuddin Hekmatyar verbündet und ihn zum Ministerpräsidenten gemacht. Mit dem Bündnis aus insgesamt fünf Mudschaheddin- Gruppen wollte er die Kräfte gegen die Taliban bündeln. Die Fundamentalisten haben bislang jedes Angebot abgelehnt, eine Regierung der nationalen Einheit mitzutragen. Sie wollen kämpfen, bis Rabbani gestürzt ist.
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