■ Querspalte: Lügen alle Kreter?
Vielleicht gehören auch Sie zu jenen, die TARIFPOLITIK insgeheim für die lebensfernste Angelegenheit der postmodernen Dienstleistungsgesellschaft halten. TARIFPARTEIEN, TARIFVERTRÄGE, TARIFVERHANDLUNGEN – all dies hat nix mit Ihnen zu tun, wo doch Ihr mühsam erkämpfter dritter Werkvertrag als scheinselbständiger Lektor mal wieder zu Ende ist (zitter) beziehungsweise Ihr befristeter Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni leider nächste Woche ausläuft (bibber): Verlängerung garantiert unmöglich. Aber gemach, gemach! Von der Tarifpolitik können auch Sie lernen. Zum Beispiel Logik.
Gesamtmetall empfiehlt, daß sich die Arbeitgeber nicht mehr an die von ihnen selbst ausgehandelten Tarifverträge zur Lohnfortzahlung halten sollen. Weil das, was in den tariflichen Bestimmungen zur Lohnfortzahlung stünde, eigentlich gar keine echten tariflichen Bestimmungen seien, behauptet deren Chef Stumpfe. Logischerweise schlägt er jetzt neue Verhandlungen vor. Worüber? Über neue tarifliche Bestimmungen zur Lohnfortzahlung! Alles klar?
Der Trick kam aus dem Osten. Dort kündigten die Bauarbeitgeber fristlos die kurz zuvor eigenhändig ausgehandelten Lohntarifverträge. Warum? Um in neuen Verhandlungen „die künftige Wirksamkeit von Tarifverträgen zu sichern“, erklärte eine Sprecherin der Arbeitgeber.
Ja, wenn man mit dem Tariflatein am Ende ist, dann besinnt man sich der alten Griechen. Die haben lange über das Problem nachgedacht. „Ein Kreter sagt: Alle Kreter sind Lügner. Lügt er, oder spricht er die Wahrheit?“ Man weiß es bis heute nicht, wüßte es aber gerne. Auch was Blüm betrifft. Der sagt: Wir brauchen das „Sparpaket“, um den Sozialstaat zu retten. Na?!
Da kommen auch Sie als scheinselbständiger Intellektueller ins Philosophieren. Zum Beispiel über die Frage, warum Sie keinen festen Job haben. Die Antwort: Damit Sie gar nicht erst arbeitslos werden können. Und das hat doch auch sein Gutes. Gabi Streckfuß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen