: Generalstreik in Jerusalem
Palästinenser protestieren gegen Tunnelbau ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem hat gestern mit einem ganztägigen Generalstreik gegen die Eröffnung eines Tunnels in der Altstadt protestiert. Seit 1988 graben Archäologen des israelischen Religionsministeriums an dem unterirdischen Tunnels entlang der westlichen Mauer des Haram al-Scharif (Tempelberg). Auch in den palästinensischen Autonomiegbieten wurde ein zweistündiger Proteststreik abgehalten. Massive israelische Polizeieinheiten wurden in der Altstadt und ihrer Umgebung eingesetzt, um Proteste im Keim zu ersticken und eine Wiederholung der Unruhen des Vortags zu verhindern. Bei Polizeiangriffen auf Demonstranten wurde gestern sogar der Mufti von Jerusalem durch Gummigeschosse leicht verletzt. Die nördliche Umgebung von Jerusalem und der gesamte Distrikt Ramallah wurden von den israelischen Besatzungsbehörden zur geschlossenen Militärzone erklärt. In Ramallah selbst demonstrierten Tausende Palästinenser und bewarfen israelische Militärpatrouillen mit Steinen und Flaschen. Eine große Anzahl von Palästinensern wurde durch Gasgranaten und Gummigeschoße verletzt.
Der unterirdische Gang, dem die israelischen Behörden den Namen Hasmonäer Höhle gegeben haben und der von der Klagemauer bis zum jetzt offengelegten Ausgang an der Via Dolorosa führt, soll nach amtlichen israelischen Verlautbarungen „dem Tourismus dienen und damit auch den palästinensischen Geschäftsleuten zugute kommen“. Nach Aussage des stellvertretenden Religionsministers Jigal Bibi stehen 60 Millionen Schekel (rund 30 Millionen Mark) zur Verfügung, um die israelischen Ausgrabungen unterhalb und entlang des Tempelbergs zu erweitern und zu vertiefen.
Von palästinensischer Seite wird befürchtet, daß zumindest in nationalistisch-religiösen Kreisen die Absicht besteht, die seit Jahren betriebenen Tempelberg-Ausgrabungen direkt unter die Moscheen zu lenken und so deren Zusammenbruch zu verursachen, um dann an dieser Stelle den neuen, dritten jüdischen Tempel zu erbauen. Jassir Arafat bezeichnete das israelische Unternehmen als großes politisches Verbrechen gegen den Islam und dessen heilige Stätten. „Was hier geschieht, ist gegen den Friedensprozeß und gegen alle unsere Abkommen gerichtet“, sagte Arafat, der nun die Intervention der Vereinten Nationen fordert, um den israelischen Schritt rückgängig zu machen. Die Arabische Liga soll heute in Kairo zusammentreten und Maßnahmen gegen die „Gefährdung der Moscheen auf dem Haram al-Scharif“ beschließen. Die gestern geplante Sitzung des „Lenkungsausschusses“ für die israelisch-palästinensischen Verhandlungen wurde ausgesetzt. Minister Ariel Scharon hat noch Öl ins Feuer gegossen und den Siedlern auf dem Golan den Bau von 600 neuen Wohneinheiten zugesagt. Innerhalb von zwei Jahren sollen damit 2.000 weitere Siedler auf den Golan kommen.
Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen