: (Un-)verantwortliche Menschenversuche
■ Parlamentarische Versammlung des Europarates berät Bioethik-Konvention
Berlin (taz) – Heute muß in Straßburg die geplante Bioethik- Konvention des Europarates eine entscheidende Hürde nehmen. Der seit Juni vorliegende zweite Entwurf der „Konvention über Menschenrechte und Biomedizin“ wird der parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Abstimmung vorgelegt.
Die BefürworterInnen argumentieren, die Konvention werde mithelfen, die Menschenrechte in der modernen Medizin zu sichern. KritikerInnen sehen in ihr dagegen einen Freibrief für unverantwortliche Menschenversuche. In zahlreichen Regeln versucht der Konventionsentwurf klarzustellen, daß die „Interessen und das Wohlergehen des Menschen Vorrang haben“ – auch vor den Interessen von Gesellschaft und Wissenschaft. Kommerzieller Organhandel wird verboten. Medizinische Forschung und Organtransplantationen sollen grundsätzlich nur mit Einwilligung der Betroffenen durchgeführt werden. Niemand darf aufgrund seiner genetischen Anlagen diskriminiert werden. Außerdem dürfen genetische Tests in der Fortpflanzungsmedizin (außer zur Vermeidung von Erbkrankheiten) nicht zur Geschlechtswahl benutzt werden.
Gegenüber einem ersten Entwurf, der vor zwei Jahren in Deutschland für Aufruhr sorgte, wurde vor allem bei der Forschung mit „Nichteinwilligungsfähigen“ (Kinder, geistig Behinderte und Altersverwirrte) kräftig nachgebessert. Hier sieht der Vertragsentwurf inzwischen immerhin sechs Sicherungen vor, die die Interessen der Betroffenen wahren sollen: Die Versuche müssen Verbesserungen für gleich alte oder an der gleichen Krankheit leidende Personen zum Ziel haben. Die beabsichtigten Versuche können nicht mit anderen Personen durchgeführt werden. Der gesetzliche Vertreter der betroffenen Person muß seine Einwilligung erteilen. Der Betroffene selbst widerspricht nicht. Eine Ethikkommission muß den Versuch für ethisch akzeptabel halten. Der Eingriff selbst darf nur zu einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung für den Betroffenen führen. Trotzdem glaubt die bündnisgrüne Euro-Politikerin Hiltrud Breyer, daß die Rechte besonders schutzbedürftiger Menschen hier „bedenkenlos relativiert“ werden.
Die Konvention definiert nur Mindeststandards und läßt strengeres nationales Recht ausdrücklich zu. So bleibt Embryonenforschung in Deutschland genauso gesetzlich verboten wie Versuche mit geistig Behinderten und Altersverwirrten (Versuche mit Kindern sind in Deutschland erlaubt).
Das Votum der Parlamentarier ist zwar rechtlich unverbindlich, aber moralisch von großem Gewicht. Die endgültige Entscheidung treffen voraussichtlich im Oktober die zuständigen Minister. Dem Europarat gehören 39 Staaten West- und Osteuropas an. Christian Rath
Debatte Seite 10
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen