: Die Geldstrafe muß der „Nigger“ zahlen
Fragwürdiges Urteil in fragwürdigem Prozeß gegen Polizeiopfer Dialle D. ■ Von Elke Spanner
Stimmengewirr, drei Menschen reden aufgebracht durcheinander. Als „Nigger“ seien sie beschimpft worden, empören sie sich. Oder war es doch „Neger“? Die Erinnerungen an diese Szene weichen voneinander ab, als sie eineinhalb Jahre später über den Vorfall berichten sollen – vor dem Hamburger Amtsgericht, wo einer von ihnen angeklagt ist: der Senegalese Dialle D.
Ob „Nigger“ oder „Neger“, beide Bezeichnungen seien gleichermaßen beleidigend, darin sind sie sich einig. Allerdings nicht mit Staatsanwalt Wriede. An dessen Spitzfindigkeit könnte sich festmachen, ob Dialle D. wegen Körperverletzung und Nötigung bestraft wird.
Die Geschichte, um die es geht, ist im Grunde gar keine. Der Schwarzafrikaner Dialle D. will von dem 14jährigen Christian K. das Wort „Nigger“ gehört haben. Der wiederum beteuert, nur eine Liedzeile gesungen zu haben. Dialle D. hat ihn festgehalten, zur Entschuldigung aufgefordert, die hat er auch bekommen. Das sagen beide. Laut Dialle D. war die Sache damit erledigt – bis plötzlich Nachbarn mit einer Pistole in der Hand auftauchten und ihn bedrohten. Christian K. fährt fort, in der Zwischenzeit von Dialle D. getreten, geschlagen und auf die Knie gezwungen worden zu sein.
Für diese Zwischenzeit steht Dialle D. vor dem Kadi. Für diesen entscheidenden Moment gibt es keine ZeugInnen. Aussage steht gegen Aussage. „Lassen Sie uns die Sache einfach vergessen und das Verfahren einstellen“, hatte Richter Gero Nix vorgeschlagen. Staatsanwalt Wriede widersprach. Er wollte lieber noch 14 ZeugInnen hören, überwiegend NachbarInnen, die gar nichts gesehen haben können, weil sie nicht am Ort des Geschehens waren. Was sie gestern dann auch im Halbstundentakt bestätigten.
Nur bei dem vorausgegangenen Disput waren zwei FreundInnen von Dialle D. dabei. Und während dieser „Nigger“ gehört haben will, berichtet das Ehepaar M. von „Neger“. Ha, feixt Staatsanwalt Wriede, wenn das kein Widerspruch ist, und suggeriert mit penetrant-aggressiven Nachfragen die Unglaubwürdigkeit der beiden.
„Pipifax“ regt sich die Ehefrau von Dialle D. über den unverhältnismäßigen Aufwand auf. „Im Grunde geht es hier um die alte Geschichte“ – und damit um ein Sammelsurium an Straftaten von ganz anderem Kaliber. Dialle D. hatte nämlich im September 1994 in der taz hamburg über seine Mißhandlungen durch deutsche Polizisten berichtet und dadurch das ins Rollen gebracht, was als „Hamburger Polizeiskandal“ bekannt wurde, den damaligen Innensenator Werner Hackmann in den Rücktritt trieb und zahlreiche weitere Polizeiopfer ermutigte, sich ebenfalls zu melden.
Im Polizeivermerk über den jetzt verhandelten Vorfall ist weder die Beschimpfung „Nigger“ noch „Neger“ überhaupt erwähnt. „Warum?“ fragt Staatsanwalt Wriede mit strengem Gesicht. „Das ist eine gute Frage“, erwidert Dialle D.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen