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"Es geht um Rechtsbruch"

■ Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Walter Riester, äußert sich zur Zukunft von Lohnfortzahlung und Flächentarifvertrag und zur Rolle von Kanzler Helmut Kohl

taz: Die Metallarbeitgeber wollen auf breiter Front kranken Arbeitnehmern ab dem 1. Oktober nur noch 80 Prozent des Lohns zahlen. Mercedes hat den Anfang gemacht. Ist der Kampf der Gewerkschaften gegen die Bonner Gesetzesverschärfungen verloren?

Walter Riester: Nein, ganz im Gegenteil. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung auf der betrieblichen Ebene ja erst, und da werden wir uns der Durchsetzung des Tarifvertragsbruchs ganz entschieden entgegenstellen. Wir hatten am Montag ein Gespräch mit 70 Betriebsräten aus der Metall- und Elektroindustrie, die etwa 700.000 Beschäftigte repräsentieren. Und die haben alle gesagt, sie werden diesen Tarifvertragsbruch nicht zulassen.

Auch die 18 Manteltarifverträge im Metallbereich beziehen sich auf das Gesetz. Lohnfortzahlung „gemäß der gesetzlichen Bestimmung“, heißt es etwa im Vertrag für Rheinland-Pfalz. Eine eigenständige Vereinbarung läßt sich daraus wohl kaum ableiten. Da dürften die Arbeitgeber für einen Rechtstreit gute Karten haben.

In Rheinland-Pfalz ist das möglich, aber dafür müßten sie den Rechtsstreit erst mal führen. 80 Prozent unsere Tarifverträge sind in dieser Frage aber sehr gut gesichert. Da werden die Arbeitgeber juristisch ganz schlechte Karten haben. Aber im Moment geht es gar nicht um einen Rechtsstreit, sondern um Rechtsbruch.

Auch Kanzler Kohl warnt vor Vertragsbrüchen.

Das ist schon eine pikante Situation, denn der Kanzler hat den Arbeitgebern ja die Vorlage dafür gegeben. Wer angesichts der vielen Vertragsbrüche seitens der Arbeitgeber in der vergangenen Zeit davon ausgegangen ist, die würden sich ausgerechnet bei der Lohnfortzahlung tarifvertragskonform verhalten, der ist entweder naiv, oder er will die Öffentlichkeit in die Irre führen. Für naiv halte ich den Kanzler nicht, sondern ihm geht es doch nur darum, von seinem eigenen Beitrag zu diesem Vertragsbruch abzulenken.

Wie würden Sie die jetzige Auseinandersetzung gewichten, etwa im Vergleich zum Kampf um die 35-Stunden-Woche?

Beim Kampf um die Arbeitszeitverkürzung haben wir als IG Metall einen Kampf mit dem Arbeitgeberverband geführt. Diesmal ist das völlig anders. Jetzt haben die Arbeitgeber aus der Position der Schwäche heraus den Konflikt in die Betriebe verlagert und den Betrieben die Empfehlung gegeben, das Gesetz umzusetzen und den Tarifvertrag zu brechen. Die Aufgabe des Verbandes wäre, die Friedenspflicht zu sichern, doch im Moment macht Gesamtmetall das genaue Gegenteil.

Wird die IG Metall nun ihrerseits die Friedenspflicht brechen?

Es reicht im Moment für uns aus, wenn die Betriebsräte sagen, wir stehen nicht mehr zur Verfügung für Vereinbarungen von Sonderleistungen, für Absprachen, die kostenmindernd wirken. Das wirkt wesentlich stärker, als unsererseits zum Vertragsbruch aufzurufen.

Die Daimler-Benz-Chefetage hat diese Ankündigung bisher nicht beeindruckt.

Warten Sie es doch einmal ab. Ich weiß nicht, wieviel Geld der Chef von Mercedes rauspulvern will. Am Samstag wollen die Beschäftigten keine Sonderschichten in Untertürkheim und Sindelfingen fahren, und ich denke, daß das so weiter geht. Das wird die Aktionäre nicht freuen.

Ist jetzt überhaupt noch eine einheitliche Lösung in ihrer Branche vorstellbar?

Wir streben eine einheitliche Lösung bei der Lohnfortzahlung und den Sonderzahlungen an und sind deshalb auch vor gut zwei Wochen an Gesamtmetall herangetreten. Doch Gesamtmetall war dazu nicht bereit.

Was können Sie den Arbeitgebern anbieten?

Was für uns erträglich wäre, würden wir in den Verhandlungen ansprechen, nicht in der Zeitung. Doch dieser Weg ist vorerst gescheitert, weil Gesamtmetall das Problem an die Betriebe delegiert hat.

Der IG-Chemie-Chef Hubertus Schmoldt glaubt, daß künftig die gesetzliche Senkung der Lohnfortzahlung nicht durch Tarifverhandlungen rückgängig gemacht werden kann.

Man muß natürlich sehen, daß im Bereich der chemischen Industrie die tariflichen Regelungen sich deutlich von denen im Metall-, Stahl- und Elektrobereich unterscheiden. Eine tarifliche Regelegung, die das neue Gesetz nachvollzieht, wird es mit der IG Metall nicht geben.

Auf eine generelle Sicherung des Status quo durch Gesamtmetall würden weitere Unternehem mit Verbandsflucht reagieren. Daß immer mehr Unternehmen den Verbänden – und damit den Tarifverträgen – entfliehen, liegt ja auch nicht im Interesse der IG Metall.

Das ist richtig, aber wenn der Preis, diese Entwicklung aufzuhalten, der ist, daß wir die Tarifverträge aufgeben, dann ist das noch weniger im Interesse der IG Metall. Interview: Walter Jakobs

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