: „Jahrestag der Verlogenheit“
Symposion zum Denkmal für den 17. Juni 1953: Ambivalenz zwischen verdrängter Erinnerung Ost und Instrumentalisierung West ■ Von Katrin Bettina Müller
„Wem wird das Renommee der Aufständischen des 17. Juni von 1953 zufließen? Den Beteiligten von damals, den Ostdeutschen, der BRD nach 1989, der Stadt Berlin?“ fragte der Kunsthistoriker Hans Ernst Mittig auf einem Symposion zum „Denkmal für die Ereignisse des 17. Juni 1953“. „Kann man ein Nachdieseln des ,Kalten Krieges‘ vermeiden?“ bezweifelte er die Möglichkeit, das historische Datum von seiner ideologischen Ausbeutung zu befreien.
Die Ambivalenz zwischen der verdrängten Erinnerung in der DDR und dem instrumentalisierten Gedenken in der BRD als „Tag der deutschen Einheit“ prägte den Beginn des zweitägigen Symposions, zu dem die Senatsverwaltung für Bauen und das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart in die Akademie der Künste eingeladen hatte. Damit sollte der Wettbewerb eines Denkmals vorbereitet werden, das im Abgeordnetenhaus im März vergangenen Jahres auf Antrag der CDU und SPD beschlossen worden war.
Hart stießen die Interpretationen der Historiker über den Aufstand, dessen Wirklichkeit lange von Deutungen zugeschüttet wurde, aufeinander. Denn lange wurden in der BRD die Forderungen der Streikenden nach Rücknahme der Normerhöhungen, Senkung der Lebensmittelpreise, nach geheimen und freien Wahlen, dem Rücktritt der Regierung und der Einheit Deutschlands in der Gedenkpolitik auf einen nationalen Impuls reduziert.
Während der Politologe Klaus Schröder (Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität) den 17. Juni als Vorboten des 9. November 1989 sah, nannte Peter Steinbach (Forschungsstelle Widerstandsgeschichte der FU) den 17. Juni einen „Jahrestag unserer Verlogenheit“. Als nationaler Feiertag habe er die Bundesrepublik der 50er Jahre vor ihren Problemen mit der deutschen Widerstandsgeschichte im Nationalsozialismus gerettet. Die „Massen im Osten“, derer man mit der „Pose des tief Getroffenen“ gedachte, waren dem Westen nicht gefährlich. Die nationale Aufladung habe den demokratischen Massenaufstand nachträglich entschärft.
Dennoch versuchte Steinbach einen positiven Entwurf und interpretierte den 17. Juni als ein erstes Aufscheinen einer „Civil society“. Doch als im Lauf der Diskussion daraus gar „ziviler Ungehorsam“ wurde, schreckten die Zeitzeugen zurück. Denn erstens verträgt sich diese 68er Tugend nicht mit ihrer Verteidigung der Legalität ihres Streiks, zweitens entspricht sein konspirativer Unterton nicht ihren Erinnerungen an seine spontane, unvorbereitete Entstehung.
Wie ein Film sprangen ihre Erinnerungen an. Wenn Alfred Brun, „der Mann, der den Generalstreik ausgerufen hat“, vom Beginn des Aufstands erzählte, dem er sich auf der Baustelle Block C Süd in der Stalinallee anschloß, konnte man den emotionalen Krampf um diesen Tag für Augenblicke auf die Seite wischen. Die Zeitzeugen brauchen das Denkmal, um sich ihre doppelt verbogene Geschichte wiederanzueignen.
In diesem Sinn plädierte Fritz Jacobi (Kustos der Neuen Nationalgalerie) für ein Denkmal, das den Ostdeutschen diesen Tag als Teil ihres Selbstbewußtseins zurückgebe, ohne ihm die Geschichte der westdeutschen Aneignung überzustülpen. In diesem Konzept aber sahen viele die Gefahr, daß dann ausgeklammert wird, wo es weh tut. Opfer zu ehren sei einfach.
Überhaupt erfuhr die Formulierung „Denkmal für die Opfer des 17. Juni“ in der Vorlage des Senats heftige Kritik, da sie schon den Gestus der Trauer statt der positiven Identifikation mit den Streikenden vorschreibe. Zweifel, ob ein Denkmal überhaupt zur notwendigen Reflexion der Geschichte beitragen könne, wenn gleichzeitig das Geld fehle, die Bürgerbewegung der DDR und ihre Repression aufzuarbeiten, durchzogen die Diskussionsforen.
Zunehmend unwohl fühlten sich die als Zuhörer eingeladenen Künstler. Waren sie nur gekommen, um von den Historikern unlösbare Hausaufgaben zu erhalten? Der Kunsthistoriker Hans Ernst Mittig brachte ihr Gefühl einer Alibifunktion auf den Punkt: „Die Künstler polieren die Überschriften, andere schreiben den Text.“
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