Jetzt haben die Juristen das Wort

Die 100prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bleibt bestehen, meint die IG Metall. Nach ihrer Ansicht geht Tarifvertrag vor Bundesgesetz  ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Etwa achtzig 80 Prozent der ArbeitnehmerInnen in der Metall- und Elektroindustrie dürfen sich freuen. Denn ihre hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist durch eindeutige tarifvertragliche Vereinbarungen (vorerst) gesichert. Das jedenfalls ist die Quintessenz aus einem Rechtsgutachten, das gestern in Frankfurt vom Vorsitzenden der IG Metall, Klaus Zwickel, und dem Dekan der Fachhochschule Frankfurt, Peter Wedde, vorgestellt wurde.

Im Auftrag des Vorstandes der größten Einzelgewerkschaft der Welt hatte sich Wedde mit der Frage beschäftigt, ob aufgrund einschlägiger tarifvertraglicher Regelungen in den Manteltarifverträgen – trotz der gesetzlichen Neuregelung – weiterhin ein Anspruch auf hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall besteht.

Für Wedde haben nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schlechte Karten, deren Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht tarifvertraglich geregelt ist. Das sei der Fall bei den Manteltarifverträgen Berlin West und Berlin Ost/Brandenburg für Angestellte. Und bei den Tarifverträgen für Angestellte im Saarland und in Rheinland-Pfalz müsse die Rechtslage noch weiter eruiert werden, sagte Wedde.

In allen anderen Tarifgebieten dagegen sei die Sache dagegen klar: „Der ungekürzte Entgeltfortzahlungsanspruch leitet sich für diese Fallgruppe ohne Beschränkung durch das neue Entgeltfortzahlungsgesetz eigenständig aus den tarifvertraglichen Normen ab.“ Im Klartext: Bestehender Tarifvertrag schlägt neues Bundesgesetz, mit dem die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent begrenzt werden soll.

Schon im April 1996 habe das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Wechselwirkung von Tarifverträgen und gesetzlichen Regelungen klar Stellung bezogen, erklärte Wedde. Danach sei die Tarifautonomie immer dann besonders gegen gesetzgeberische Eingriffe zu schützen, wenn die Materie aus Sachgründen am besten von den Tarifparteien selbst geregelt werden könne.

Außerdem gelte weiter das sogenannte Günstigkeitsprinzip, das bei rechtlichen Auslegungen von Tarifnormen die besondere Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer vorschreibe. Wedde: „Das ergibt sich aus dem Schutzgedanken, der hinter dem Arbeitsrecht steht.“

Vor dem Hintergrund dieser „klaren Rechtslage“ sagte Klaus Zwickel, daß die IG Metall „in letzter Konsequenz“ auch vor einem Streik gegen „rechtsbrecherische Arbeitgeber“ nicht zurückschrecken werde. Für diesen „Flächenbrand“ würden dann die Arbeitgeber allein die Verantwortung tragen.