: We Tarzan – you Jane!
Kein Ende der Trauer nach dem Tod des Volkssängers Zeki Müren. Linke, Islamisten und Faschisten sind sich einig in der Verehrung des „Generals“. Dabei verletzte Zeki ein zentrales Tabu der türkischen Gesellschaft: Er war schwul ■ Von Ömer Erzeren
Der Tod kam vergangene Woche, aber nichts hat sich beruhigt seither. Das Wochenmagazin Aktüel ist nach wenigen Stunden ausverkauft, weil die Macher eine Kassette mit Liedern von Zeki Müren beigelegt haben. Die CD- Produzenten schaffen es einfach nicht, der Nachfrage gerecht zu werden. Die weiche Stimme Zeki Mürens ist allgegenwärtig: in den Taxen, auf den Straßen, den CD- und Kassettenshops, die mit starken Lautsprechern seine großen Hits bringen. Zeki, der 65 Jahre wurde (siehe taz vom 26.9.), war nicht irgendein prominenter türkischer Musiker, nicht nur ein Superstar. Der Sänger Zeki Müren war „ein Symbol wie Edith Piaf für die Franzosen, Elvis Presley für die Amerikaner oder Amalia Rodrigez für die Portugiesen“, befindet der Komponist Zülfü Livaneli. Und die Tageszeitung Hürriyet, Meinungsmacher Nr.1, schlagzeilt hymnisch: „Ein prunkvolles Finale“.
Letzteres ist zugleich unfreiwillig makaber. Zeki Müren starb in den Izmirer Studios des staatlichen Radio- und Fernsehsenders TRT, wo der letzte Teil einer mehrteiligen Biographie mit dem Titel „Die Sonne, die nie untergeht“ gedreht wurde. Kurz nach der Ehrung – der Intendant schenkte Zeki Müren das Mikrophon, vor dem er 45 Jahre zuvor in den TRT Studios aufgetreten war – erlitt Müren eine Herzattacke. „Halte meine Hände fest, meine Mimose“, sagte er zu der jungen Moderatorin. Kurz darauf war er tot. Der Schriftzug „Die Sonne ist untergegangen“ wurde in die laufenden Programme des Senders eingeblendet.
Zehntausende nahmen in der konservativen Stadt Bursa an der Beerdigung teil. Weinende Frauen und Männer – quer durch alle Parteien ging die Bestürzung. Faschisten, Islamisten, Linke formulierten herzergreifende Beileidsbekundungen. „Er war mein Freund“, sagte Staatspräsident Süleyman Demirel mit Trauermiene, und der Generalstabschef ließ mitteilen, daß „Zeki Müren sein Vaterland geliebt hat“.
Das Ausmaß der öffentlichen Ehrungen ist um so erstaunlicher, als Zeki eigentlich zu den Geächteten und Marginalisierten hätte gehören müssen. Denn Zeki Müren war schwul.
Seine Homosexualität war kein Geheimnis, im Gegenteil. Jeder Satz, jede Bewegung Mürens wollte sagen: „Ich bin schwul.“ Zudem trat er stets in Frauenkleidern auf, in Stiefeln und Schuhen mit hohen Absätzen, Minirock und transparenten Kleidern. Doch niemand hat „dreckiger Schwuler“ zu ihm gesagt. Als Wehrpflichtiger ist er nicht von seinen Vorgesetzten mißhandelt worden – statt dessen sang er bei Konzerten für Offiziere. Er hat auch nie, wie die Istanbuler Transvestiten, bei den Razzien der Polizei Schläge und Prügel bezogen. Er war der Unantastbare, der „General“.
Unter diesem Ehrentitel hat Müren 100 Lieder komponiert und 50 LPs, darunter viele goldene, auf den Markt gebracht. Er hat die türkischen Bühnen revolutioniert: Weg mit dem männlichen Grauschleier in Bühnenbild, Kostümen und Liedinterpretation. Mit zarten Komplimenten, formuliert in bestem Türkisch, hat er seine Zuhörer eingewickelt. Sein Danke für die (zahlreichen) Blumen war legendär und herzzerreißend. Aber warum durfte er, wofür andere bestraft wurden?
Nicht umsonst fällt Zeki Mürens Aufstieg in die Fünfziger, verläuft parallel zur Demokratisierung und Einführung des Mehrparteiensystems. Die erste demokratisch gewählte Regierung verschaffte den Bauernmassen Anatoliens die Partizipation an der Macht. Zu Mürens Fans gehörten auch viele Frauen. Das von den Männern geschundene Geschlecht hat in ihm sein Idol gefunden: nicht Chauvi, sondern einfühlsame, lyrische Mannfigur. Außerdem gebildet, berühmt, reich, beneidet und von Gott mit einer wundersamen Stimme ausgestattet wurde. Ein Mann, der mit seinem Parfum, seinen transparenten Kleidern und seinem Make-up die Reize des Femininen glorifizierte.
Kompromiß mit den Herrschenden
Zeki war natürlich nicht immer so. Es gab Irrungen. In den 16 Filmen, die mit ihm gedreht wurden, tritt Müren nicht nur als Herzensbrecher auf, sondern auch als starke männliche Gestalt, die andere Männer verprügelt, wenn sie ein Auge auf die Geliebte werfen. Erst im Alter hat Müren zugestanden, daß das nicht seine Sache war: „Die Rollen widersprachen meiner zarten Seele.“ Doch die zarte, schwule Seele hat sich nie offen und mit Worten zu seiner Sexualität bekannt. Auf die Frage, ob er schwul sei, pflegte Müren zu lachen: „Wie sie wissen, pflegen Künstler alle Farben einzusetzen.“
Die Krönung zum „General“ bedeutete gleichsam den Kompromiß mit den Herrschenden – und der gesellschaftlichen Intoleranz. Kein Zufall, daß das Erbe an die Stiftung der türkischen Armee und die staatliche Bildungsstiftung geht – so will es das Testament. „Was schuldet eigentlich ein Schwuler den Bildungs- und Militärinstitutionen, die Homosexualität als Krankheit ansehen“, fragte noch vor Zekis Tod die türkische Schwulen- und Lesbenzeitschrift Kaos GL. Die Antwort liege in dem Verhältnis von „Herr und Knecht“.
In diesem Schema müssen auch die starken Männer in Ankara ihre Zuneigung zu Zeki empfunden haben. „Am Ende sind die tough guys die eigentlich Effeminierten, die der Weichlinge als ihrer Opfer bedürfen, um nicht zuzugestehen, daß sie ihnen gleichen“, hat Theodor W. Adorno in den „Minima Moralia“ festgehalten. Mürens Biographie liest sich wie eine Bestätigung für Adornos These, daß das männliche Prinzip der Herrschaft auch die vermeintlichen Subjekte zu seinen Objekten macht und virtuell ins Weibliche umschlägt.
Dem türkischen Dokumentarfilmer Can Dündar erzählte Zeki Müren vor wenigen Jahren, daß er in seiner Kindheit gern Tarzan spielte, doch weniger wegen des Dschungelhelden selbst – Zeki wollte die Rolle der Jane. Müren starb übrigens kurz nach dem Tod von Dorothy Lamour, die in den Kinofilmen Tarzans Jane spielte. „We Tarzan – you Jane“ hat die linksalternative Wochenzeitschrift Express getitelt. Die Herrschenden des Urwalds waren „die anderen“, während Müren die „weiße Geliebte“ war.
Müren hat den Herrschenden seine Rolle gedankt. Kein einziges Mal hat er protestiert: nicht gegen die Intoleranz gegenüber Homosexuellen, nicht gegen die Verfolgung von „Andersartigen“. Das war der Preis für das Staatsbegräbnis erster Klasse. Sonst wäre er womöglich vom „General“ wieder zum „dreckigen Schwulen“ herabgesunken.
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