: Die Panikmache Rußlands zieht nicht mehr
■ Mittelasiatische GUS-Staaten verurteilen das Vorgehen der Taliban-Milizen in Afghanistan. Die Grenze zu Tadschikistan soll schärfer als bisher bewacht werden
Berlin (taz) – In den Hauptstädten Mittelasiens scheint man sich nicht von Moskauer Versuchen beeindrucken zu lassen, die radikal- islamistischen Taliban zu einer neuen Gefahr hochzustilisieren. Erst vor wenigen Tagen hatte der russische Sicherheitsberater Alexander Lebed behauptet, die Taliban wollten nach ihrem Sieg in Kabul auch „Teile Usbekistans und Tadschikistans erobern“ und könnten auf ihrem Weg die russischen Posten an der afghanisch- tadschikischen Grenze überrennen. Beim Afghanistan-Gipfel der Staatschefs Kasachstans, Usbekistans, Kirgistans und Tadschikistans mit dem russischen Premier Wiktor Tschernomyrdin am vergangenen Wochenende in der kasachischen Hauptstadt Almaty wurden zwar Verstöße der Taliban gegen die Menschenrechte verurteilt und ein Eingreifen angedroht, falls die innerafghanischen Kämpfe zu dicht an die GUS- Grenze rückten. Aber der einzige konkretere Beschluß, die Grenze Tadschikistans „schärfer“ zu bewachen, blieb einer bilateralen Abmachung zwischen Rußland und Tadschikistan vorbehalten.
Die Zurückhaltung ist verständlich: Man hat von den Taliban zu Recht einiges befürchten, aber keinen Einmarsch in die GUS. Dafür gibt es dabisher nicht das geringste Anzeichen. Im Gegenteil: Sie betreiben nur innerafghanische Ziele, während pan-islamische Mudschaheddinchefs nie ein Hehl daraus machten, daß sie nach Kabul auch Buchara, Samarkand und Kaschmir „befreien“ wollten. Schon jetzt stehen an der afghanisch-tadschikischen Grenze 25.000 russische Grenzsoldaten, dazu einige Bataillone aus Kirgistan und Kasachstan. Aber sie sollen vor allem den tadschikischen Staatschef Rahmonow gegen die bewaffnete Opposition schützen.
In den mittelasiatischen Ländern setzt man auf eine politische Lösung, die Kasachstans Präsident Nursultan Masarbajew schon mit dem Iran, Pakistan und der Türkei besprach. Dafür brachte er sich selbst als Vermittler ins Spiel. Rußland, so stichelte er, genieße in Afghanistan kein gutes Ansehen. Mitte September schlugen die Außenminister Kasachstans, Usbekistans und Kirgistans eine gemeinsame „mittelasiatische Peace-keeping-Strategie“ für die Konflikte in Afghanistan und Tadschikistan vor. Gestern nun trieben die afghanische Taliban-Milizen den Rest der vertriebenen Regierungsarmee unter Verteidigungsminister Achmed Schah Massud im Pandschir-Tal in die Defensive. Und der Informationsminister der Taliban, Amir Khan Muttagi, erklärte nach dem Gipfel, Rußland sei zu schwach, um jemandem zu drohen. „Die Russen sind sogar zu schwach, die Lage in Tschetschenien zu bewältigen. Sie sollten sich an die bitteren Erfahrungen in Afghanistan erinnern.“ Thomas Ruttig
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