piwik no script img

Fluchthilfe ins Altersheim

Der ehemalige Chefarzt der Psychiatrie Buch und eine Kollegin stehen ab heute wegen Gefangenenbefreiung vor Gericht. Sie brachten einen Patienten ins Seniorenheim  ■ Von Plutonia Plarre

Die Anklage läßt an eine Fluchthilfeaktion bei Nacht und Nebel denken, doch damit hat der Fall nichts gemein: Ab heute müssen sich der ehemalige Chefarzt der Psychiatrie Buch und eine Kollegin wegen Gefangenenbefreiung vor dem Landgericht verantworten. Die Tat liegt mittlerweile fünf Jahre zurück, aber der Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft ist ungebrochen. Dem 44jährigen Matthias L. und der 53jährigen Maria-Gabriela R. wird vorgeworfen, im September 1991 einen von der Strafvollstreckungskammer in der Psychiatrie untergebrachten Patienten in ein Seniorenheim entlassen zu haben. Der Prozeß hatte schon mehrfach begonnen, war aber wegen rechtlicher Probleme vertagt worden.

Der Mann, um den es geht, hatte 1989 in der DDR eine Frau an einer Bushaltestelle mit einem Messerstich in den Hals schwer verletzt. Weil der Täter an einer akuten Psychose litt, wurde der Prozeß wegen Schuldunfähigkeit eingestellt und der Mann in das psychiatrische Krankenhaus Buch eingewiesen. Den Beschluß faßte das damals zuständige DDR-Zivilgericht.

Nach der Wende übertrug das Kammergericht die Zuständigkeit für solche DDR-Fälle den hiesigen Strafvollstreckungskammern. Im März 1991 überprüfte eine Strafvollstreckungskammer den Fall und befand, der Haltestellen-Täter müsse vorerst weiter in der Psychiatrie bleiben, weil eine vollständige Heilung ausgeschlossen sei. Aber die Richter ließen ein Hintertürchen offen: Mittelfristig sei es denkbar, daß der Mann entlassen werden könne, wenn für ihn ein geeigneter Heimplatz mit intensiver Betreuung gefunden werde. Der damalige Chefarzt der Psychiatrie Buch, Matthias L., und seine Kollegin verstanden dies als eine Art Aufforderung und brachten den mittlerweile 60 Jahre alten Patienten ein halbes Jahr später in einem Seniorenheim unter. Zuvor hatten sie nach eingehender Untersuchung prognostiziert, daß von dem Mann keine weiteren Straftaten zu erwarten seien.

Von dem Umzug ins Altersheim im September 1991 wurde die Strafvollstreckungskammer in Kenntnis gesetzt. Die Antwort der Staatsanwaltschaft war ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Ärzte wegen Gefangenenbefreiung. Der Rentner wurde im Seniorenheim verhaftet und nach Buch zurückgebracht.

Gefangenenbefreiung kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Also landete der Fall vor dem Landgericht. Jenes setzte den Prozeß nach kurzer Verhandlung aus, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem ähnlich gelagerten Fall abzuwarten. Im März 1995 befand das höchste Gericht, die Strafvollstreckungskammer sei nicht für Patienten zuständig, die von einem DDR-Zivilgericht in die Psychiatrie eingewiesen worden seien. Die Bedeutung des Beschlusses für die beiden angeklagten Ärzte: Der Rentner war somit im juristischen Sinne nicht im Maßregelvollzug untergebracht, für den die Strafvollstreckungskammer zuständig ist. Deshalb ist auch keine Gefangenenbefreiung möglich.

Daß der Prozeß heute trotzdem beginnt, läßt jedoch darauf schließen, daß die Ärzte nicht einfach so davonkommen sollen. Die Staatsanwaltschaft hat vor einem Jahr bereits angekündigt, sie werde auf einer Geldbuße wegen versuchter Gefangenenbefreiung bestehen. Schließlich hätten die Ärzte 1991 noch davon ausgehen müssen, daß der Patient den Strafvollzugsbehörden unterstehe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen