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■ NachschlagLesbengeschichte als Leidensweg? Eine Buchpräsentation in der Begine

Angefangen hat es mit einem Filmprojekt. Im Frühjahr 1991 fanden sich Christina Karstädt aus Ost- und Anette von Zitzewitz aus West-Berlin, um eine Dokumentation lesbischen Lebens in der DDR zu drehen. Über Annoncen fanden sie Frauen, die vor der Kamera ihre Lebensgeschichten erzählten. Das Resultat ist “...viel zuviel verschwiegen“, ein Film in der Tradition der oral history.

“...viel zuviel verschwiegen“ ist auch der Titel des Buches, das Karstädt und Zitzewitz jetzt herausgegeben und am Montag in der Begine vorgestellt haben. 15 Lebensgeschichten sind dort aufgezeichnet. Einige der Frauen waren schon im Film dabei, andere kamen später hinzu. Die älteste ist heute 72, die jüngste 30. Die meisten sind in den 40er Jahren geboren, und vieles von dem, was sie über die 60er und 70er Jahre berichten, hätte sich auch in der BRD zutragen können. Da sind die Probleme mit der Familie oder am Arbeitsplatz; die Schwierigkeit, gemeinsam mit der Freundin eine Wohnung zu bekommen; das Fehlen von Treffpunkten oder auch die Pathologisierungsversuche durch eine homophobe Wissenschaft. Ein wenig klingt das, als sei Lesben- zwangsläufig Leidensgeschichte. Auch klassische Motive, die so manche lesbische Autobiographie kennzeichnen, dürfen nicht fehlen. Etwa der Augenblick der Offenbarung, die sich einstellt, wenn man zum erstenmal auf andere Lesben stößt. Oder die Kindheitserinnerung, die das Unbehagen an der eigenen Mädchenhaut zelebriert. „Ich war eigentlich nie ,Mädchen‘“, heißt es in einem Text, „sondern war so ein Hans-Dampf-in-allen- Gassen und habe lieber die Lederhose angezogen als den Rock.“

Zum Glück gibt es neben diesen wiederkehrenden Motiven auch ironische Blicke aufs eigene Ich – und zwar dort, wo es um tatsächliche Gefährdungen geht. Anna, die 1962 zu studieren anfing, erzählt vom Termin bei einem Dozenten: „Er stellte mir merkwürdige Fragen, ob ich homosexuell sei, ob ich lesbisch sei. Jedenfalls irgend etwas, was ich noch nie gehört hatte. Meine Antwort war: ,Na ja, vielleicht, ich weiß nicht, was das ist.‘ Ob ich einen Verlobten habe, fragte er, alles mögliche, lauter idiotisches Zeug. Ich habe den Ernst der Lage überhaupt nicht erkannt, weil ich im ersten Augenblick erleichtert war, daß es nichts Politisches ist.“ Da schmunzelt das Publikum in der Begine. In der Opferrolle finden sich die Zuhörerinnen (viele von ihnen aus Ost-Berlin) nicht wieder, selbst wenn die Trauermienen der Herausgeberinnen etwas anderes suggerieren wollen. Christina Nord

Christina Karstädt und Anette v. Zitzewitz (Hrsg.): “...viel zuviel verschwiegen. Eine historische Dokumentation von Lebensgeschichten lesbischer Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik“. Hoho-Verlag, Berlin, 302 Seiten, 39,80 DM

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