: „Hohes Gut mit allen Mitteln verteidigen“
■ Hans Reppel, 2. Betriebsratsvorsitzender im Bochumer Opelwerk, sieht keine Chancen für einen Kompromiß bei der Lohnfortzahlung: „Die Schmerzgrenze ist endgültig erreicht“
taz: Herr Reppel, in der letzten Woche haben die Opel-Betriebsräte einen langwierigen Kampf um die Lohnfortzahlung prophezeit. Sind Sie von der Wende im Arbeitgeberlager überrascht?
Hans Reppel: Wir haben letztlich durch unseren massiven Protest diese Wende herbeigeführt. Die Arbeitgeber haben sich verkalkuliert, deshalb mußten sie einlenken.
Woher rührt das außergewöhnliche Engagement der Metaller?
Ich bin seit 30 Jahren mit an der vordersten Front und war selbst von dem Ausmaß überrascht – und tief berührt. Es gab im Vergleich zu früheren Kämpfen ein nie dagewesenes Maß an Übereinstimmung. Jeder Kollege betrachtet die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als eine der großen Errungenschaften. Vor 40 Jahren haben unsere Kolleginnen und Kollegen dafür 16 Wochen lang einen sehr harten Streik geführt. Manche im Betrieb erinnern sich noch. Der offensichtliche Vertragsbruch hat darüber hinaus zusätzlich mobilisiert. Allgemein herrscht die Stimmung, daß wir uns das nicht gefallen lassen dürfen, sonst gibt es kein Halten mehr. Der Angriff auf die Lohnfortzahlung – und das spüren die Metaller – ist auch ein Schlag gegen die IG-Metall, die als eine der großen Gewerkschaften noch zu kämpfen in der Lage ist.
Gewerkschaft und Arbeitgeber streben jetzt eine „von allen akzeptierte bundeseinheitliche Regelung“ an. Sehen Sie Chancen für einen Kompromiß?
Bei der Lohnfortzahlung nicht. Für jeden Metaller ist die Hundertprozentregelung ein hohes Gut, das mit allen Mitteln verteidigt wird. Die Arbeitgeber haben aber gleichzeitig die Tarifverträge zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekündigt, und die normale Lohnrunde steht bevor. Ich kann mir vorstellen, daß die Arbeitgeber versuchen werden, hier eine Kompensation durchzudrücken. Letztendlich wird es davon abhängen, welche Kampfkraft wir auch in der Lohnrunde entwickeln. Kompromisse hat es da immer gegeben, aber ich glaube, daß wir über das, was wir jetzt erreicht haben, ruhig ein bißchen stolz sein können. Die Leute haben von der ungerechten Politik, die die Arbeitgeber im Verein mit der Kohl-Regierung betreiben, langsam die Schnauze voll. Die Schmerzgrenze ist endgültig erreicht.
Einige Unternehmen wollen vorerst 100 Prozent weiterzahlen, aber 20 Prozent der ausgefallenen Arbeitszeit auf besonderen Zeitkonten festhalten. Dahinter steht das Kalkül, diese Zeiten später mit Freischichten oder sonstigen Zeitguthaben zu verrechnen.
Das ist unakzeptabel. Statt Urlaub würden dann Zeitguthaben zu Lasten der Kranken verrechnet. Faktisch müßte jeder Kranke die 20 Prozent dann doch aus eigener Tasche bezahlen.
Wenn es keine bundeseinheitliche Regelung gibt, bleiben nur betriebliche Lösungen. Dann könnten die Belegschaften leicht gegeneinander ausgespielt werden.
Wir wollen eine einheitliche Regelung. Sollten die Arbeitgeber dies blockieren, werden sich die Belegschaften in der Automobilindustrie aber gewiß nicht spalten lassen. Da bin ich mir ganz sicher. Wir sind sehr gut organisiert und werden in einem solchen Fall über die Unternehmensgrenzen hinaus geschlossen agieren und eine einheitliche Regelung erzwingen. Interview: Walter Jakobs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen