: Spaniens Regierungschef am Haken
■ Geheimdienstler sollen Medikamente an Menschen getestet haben. Auch Politiker in Machenschaften verwickelt
Die Freundschaft zwischen Spaniens Regierungschef José Maria Aznar und dem Herausgeber der El Mundo, Pedro J. Ramirez, ist Geschichte: Dabei hatten sich die beiden so gut ergänzt. Die zweitgrößte Tageszeitung deckte einen Skandal der Sozialisten unter Gonzalez nach dem anderen auf. Und Aznar und seine Partido Popular segelten mit ihrer Oppositionspolitik im Windschatten des Blattes und gelangten bei den Wahlen in diesem Jahr an die Macht.
Ramirez schien am Ziel seiner Träume. Er glaubte, mit Hilfe der neuen Regierung endgültig belegen zu können, daß der schmutzige Krieg der Antiterroristischen Befreiungsgruppen (GAL), dem in den achtziger Jahren 28 Menschen aus dem Umfeld der baskischen Separatistengruppe ETA zum Opfer fielen, von Gonzalez persönlich geleitet wurde.
Immer wieder hatte Ramirez dazu Akten des militärischen Geheimdienstes Cesid veröffentlicht. Die Dokumente hatten nur einen Schönheitsfehler. Es handelt sich um Kopien, die keinen Beweiswert haben. Die Originale ruhen weiterhin im Giftschrank des Cesid. Sie dennoch der Öffentlichkeit zugänglich machen, das kann nur einer: der Regierungschef. Gonzalez lehnte kurz vor dem Ende seiner Amtszeit ab. Ramirez und die Richter hofften auf Aznar. Doch auch die konservative Regierung bewies ihre Loyalität zu den Spionen seiner Majestät und antwortete mit Nein.
Die El Mundo zerrt seither die Mannschaft um Aznar fast täglich auf die Titelseite: „Verteidigungsminister Eduardo Serra in Korruptionsskandal verwickelt“, lautete eine der Schlagzeilen. Als Vorstand eines Staatsunternehmens soll er Schmiergelder an hohe sozialistische Funktionäre bezahlt haben, um Aufträge zu erhalten. Kaum hatte sich Aznar vor seinen Minister gestellt und mit großer Mühe Rücktrittsforderungen zum Verstummen gebracht, da holte die Rechercheabteilung von El Mundo erneut zum Schlag aus. Das Ziel, den Geheimdienst Cesid vollständig zu diskreditieren.
Ein Unterfangen,das – sollten sich die Anschuldigungen als haltbar erweisen – wohl endgültig gelungen ist. Der Dienst hat, so geht jetzt aus neuesten Dokumenten hervor, im Juli 1988 in Madrid einen Bettler und zwei Drogensüchtige entführt. An ihnen wurden Psychopharmaka ausprobiert, um sie auf ihre Einsatzfähigkeit für die geplante Entführung des leitenden ETA-Mitglieds Josu Ternera in Südfrankreich zu testen. Laut El Mundo überlebte der Obdachlose das Experiment nicht.
Warum viele Politiker davor zurückschrecken, sich mit den Militärspionen anzulegen, könnte laut El Mundo eine ganz einfache Erklärung haben: In den Jahren 1993 und 1994 unterhielt der Cesid in Madrid eine Luxusvilla, die hohen Funktionären und Politikern offenstand. Der Trick dabei: Sowohl im Wohnzimmer als auch in den Schlafgemächern waren die Herren vom Abschirmdienst immer mit von der Partie. Das Haus war mit Mikrophonen und Minikameras bestückt. Was die Gäste am meisten beunruhigen dürfte: Keiner weiß, wo die Videocassetten sind. In Sachen Geheimpapiere und GAL besteht Hoffnung, daß die Richter Zugriff erhalten. Seit Ende letzten Monats prüft der Oberste Gerichtshof einen Widerspruch gegen die Regierungsentscheidung vom August. Sollten die obersten Gesetzeshüter dem stattgeben, will sich Aznar nicht widersetzen und die Papiere aushändigen. Er hat wohl dazugelernt. Reiner Wandler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen