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Motorisierte Cowboys und subversive Schwestern

■ Das facettenreiche Programm der diesjährigen Lesbisch-Schwulen Filmtage

Solange die bewegten Bilder des deutschen Mainstreams allenfalls ebensolche, also „bewegte“, Männer präsentieren, ansonsten Schwule als dekadente Weicheier zeigen, die mit jedem Schritt in ihrem Satinhausmantel den Duft schweren Parfüms versprühen, betonieren die Bilderproduktionen den Status der Homosexuellen als Faktotum. Ob Problemfilme, die Homosexuelle aus lauter Verlegenheit als die besseren Menschen und Hauspfleger empfehlen, oder Psycho-Thriller, in denen Lesben zumeist aus rein dramaturgischem Kalkül als bedrohliche Flintenweiber oder als Nervenhemdchen Marke Angela Winkler vorgestellt werden, eine schwule oder lesbische Realität hat hier keinen Platz. Im Gegenteil, die Bilder tragen ihren Teil dazu bei, daß Homosexuelle weiter ins Panoptikum biologischer Skurrilitäten wandern.

Um so erfreulicher ist es, wenn das Festivalteam der Lesbisch-Schwulen Filmtage in diesem Jahr vermeldet, daß „die Produktion auf dem lesbischen und schwulen Filmmarkt sowohl in Hollywood als auch im Low-Budget-Bereich so groß wie nie zuvor sei“. Die rund 150 Filme, die vom 17. bis 27. Oktober im Metropolis, Neues Cinema und 3001 gezeigt werden, sind jedoch weit mehr als ein Sammelbecken aller wie auch immer gearteten schwul-lesbischen-Leinwandgeschichten, sondern ebenso ein filmhistorischer Abriß über die Anfänge einer erst schüchtern-subtilen Gegenkultur bis hin zu den offensiven filmischen Manifesten einer selbstbestimmten Lust. Vielversprechend nehmen sich die Kurzfilmblöcke aus, in denen nicht nur Körper und Sexualität als Orte der Geschlechterdifferenz behauptet werden, sondern das Anderssein als anarchisches Element in den Mittelpunkt gerückt wird. So stellt Emma Hindley in ihrem Kurzfilm Butch Femme genau jene Rollenmuster vor, um die sich die kühnsten gesellschaftlichen Stigmata ranken und läßt sie in einen Widerstreit miteinander treten. Boy Frankenstein von Susan Donavon splittert die Geschichte einer Frau in die Wahrnehmungen anderer auf, die die Konstituierung einer eigenen Identität nahezu unmöglich machen. Auf amüsante und ungeschönte Weise diskutieren 15 BH-lose Kanadierinnen in Claudia Morgado Escanillas Unbound ihr Verhältnis zu ihren Brüsten. Und in dem wunderschön montierten Alkali, Iowa erzählt Marc Christopher von einem schwulen Farmerssohn in der ruppigen Welt motorisierter Cowboys, in der sich Männlichkeit nach den Fruchtbarkeitserträgen auf den Feldern und dem Kinderreichtum daheim bemißt. Ausgerechnet am Independence Day eines Landes, das bei allem Kolonialisierungsstolz und Freiheitsgeschrei nur die sich fortpflanzenden familialen Reproduzierer in seine Euphorie miteinschließt, feiert der Junge sein Coming-Out.

Auf den Zusammenhang von widerständiger Phantasie und Körperbefreiung verweist eindrucksvoll Nancy Mecklers Film Sister my Sister, der sich verkürzend auf die Formel bringen ließe: Heavenly Creatures im Dienstmädchengewand im Haus am Eaton Place. Außerdem gibt es noch eine Dirk-Bogarde-Reihe, etwas für Tilda-Swinton-Fans und wunderbare amerikanische Revuefilme, in denen in jedem Winkelmaß eines Frauenbeins die Sehnsucht nach einer durchsymmetrisierten Traumwelt ihre herrlich maßlosen Feste feiert. Birgit Glombitza

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