: Vorteil für „Ratzefummel“?
Das neue Bertelsmann-Wörterbuch sieht aus wie eine Aldi-Version des neuen Duden, ist aber eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz. Nur beim Scrabble ist auf beide kein Verlaß. Ein Vergleich der Druck- und CD-ROM-Fassungen ■ Von Peter Walther
Wer befürchtet hat, durch die Reform der hergebrachten Rechtschreibung ginge ein wertvolles Kulturgut zugrunde, kann aufatmen – denn zunächst einmal wird alles komplizierter. Mal ehrlich, wer weiß eigentlich so genau, welche der diskutierten Reformvorschläge nach langem Hin und Her schließlich die Kultusministerkonferenz passiert haben? Welche Schreibweise lebt als Variante weiter, welche nur für eine Übergangszeit? Die Rechtschreibreform ist ein ungeliebtes Kind der Öffentlichkeit. Wer sich einmal in der Orthographie eingerichtet hat, dem ist nur schwer zu erklären, warum die Nachkommenden das nicht auch tun sollten.
Dabei haben die Reformer eine sympathische Doppelstrategie verfolgt: Die Orthographie sollte zum einen stärker systematisiert und verständlicher formuliert werden, zum andern sollte der Überbewertung von Rechtschreibkenntnissen in der Gesellschaft entgegengetreten werden. Der Haken hierbei: Um die Vorteile der Systematik nutzen zu können, muß sie erst einmal durchschaut sein. Ist es nun einfacher, den Stängel auf das Stammwort Stange zurückzuführen oder ungefragt Stengel zu schreiben? Warum heißt es dann weiterhin Eltern und nicht etwa Ältern (von alt)?
Zahlreiche Ausnahmeregelungen sorgen dafür, daß anstelle der alten lediglich eine neue Unübersichtlichkeit getreten ist. Daran können auch die sinnvollen Neuregelungen – etwa bei der Kommasetzung und der Worttrennung – nicht viel ändern. Die im Juli vereinbarten Regeln treten im August 1998 in Kraft und lösen damit das 1901 beschlossene Regelwerk ab. In einer Übergangszeit bis zum Jahr 2005 bleibt die alte Orthographie neben der neuen gültig.
Anläufe zu einer Rechtschreibreform gab es seit 1901 dutzendfach, tatsächlich jedoch wurden neue Festlegungen bisher nur innerhalb jener Freiräume getroffen, die das amtliche Regelwerk von 1901 ließ. Mit der jetzigen Reform, die schon seit über 20 Jahren vorbereitet wurde, verliert der Duden seine maßgebliche Kompetenz „in allen Streitfragen“ an eine zwischenstaatliche „Kommission für deutsche Rechtschreibung“ mit Sitz in Mannheim.
Was des einen Leid, ist des andern Freud. Schon immer gab es preisgünstige Alternativen zur Anschaffung des Duden. Wenn zum Schluß aber doch immer nur der Duden galt, schien es gleich besser, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Jetzt sind die alten Rücksichten weggefallen, und der Duden bekommt direkte Konkurrenz aus dem Hause Bertelsmann. Im gleichen Format, mit ähnlichen Leistungen, aber zum halben Preis ist im Bertelsmann Lexikon Verlag das Wörterbuch „Die neue deutsche Rechtschreibung“ erschienen. Derselbe Titel ist auf CD- ROM erhältlich, ebenfall zum halben Preis der Duden-CD-ROM. Was rechtfertigt den enormen Preisunterschied bei anscheinend (oder scheinbar?) gleicher Leistung? Liegt der Teufel im Detail?
Wirft man zunächst einen Blick auf Umfang und Auswahl der Lexik in beiden Büchern, fallen kaum Unterschiede auf. Der Duden enthält 115.000 Stichwörter und 500.000 Bedeutungserklärungen, bei Bertelsmann heißt es schlicht: „über 600.000 Eintragungen“, was ungefähr auf das gleiche hinausläuft. Es ist nicht ungewöhnlich, daß die Wortbestände im einzelnen voneinander abweichen. Während wir im Duden das schöne Wort „Ratzefummel“ (für Radiergummi) verzeichnet finden, wird man im Bertelsmann vergeblich danach suchen. Dafür steht „Schalenfrucht“ nur im Wörterbuch von Bertelsmann. Keineswegs sollte die alte Scrabble-Regel „Was nicht im Duden steht, darf nicht gelegt werden“ weiterhin gelten, denn in beiden Wortlisten wird der Anspruch auf Vollständigkeit verworfen. Bei der Aufnahme von neuer Lexik war der Duden mutiger: Einträge wie „Tschechien“ oder „BSE“ fehlen im Bertelsmann. In beiden Büchern ist rot markiert, was sich im Vergleich zur bisherigen Schreibweise verändert hat. Im Duden ist die amtliche Regelung in einem speziellen Teil benutzerfreundlich aufbereitet und nach Stichwörtern geordnet worden. Auf eben diesen Teil wird in den Worteinträgen gegebenenfalls verwiesen. Zudem enthält der Duden eine vergleichende Gegenüberstellung der alten und neuen Schreibweise anhand ausgewählter Beispiele. Das Bertelsmann-Wörterbuch gibt sich mit dem Abdruck der amtlichen Regelung zufrieden, streut aber zu den unterschiedlichen Problemen der neuen Orthographie 400 Kästen mit Erläuterungen in das Wörterverzeichnis ein. Hier schneidet der Duden besser ab. Schaut man sich die Einträge in beiden Wörterbüchern jedoch etwas genauer an, sieht es schon etwas anders aus.
Während der Duden äußerst sparsam in der Angabe der Flexionsformen ist, wird im Bertelsmann-Wörterbuch stets auf die Konjugations- beziehungsweise Deklinationsklasse verwiesen, die im vorderen Teil des Buchs nachgeschlagen werden kann. Wörter, die nur in der Einzahl oder nur in der Mehrzahl vorkommen (etwa „Gewäsch“ beziehungsweise „Eltern“), sind nur im Bertelsmann als Plural- beziehungsweise Singularetantum markiert. Wer mit solchen und ähnlichen Begriffen nichts anzufangen weiß, schlage im Grammatikglossar nach, das ebenfalls nur im Bertelsmann verfügbar ist. Leider präsentiert sich „Die neue Rechtschreibung“ von Bertelsmann – ohne es nötig zu haben – in der Gestaltung des Titels als Aldi-Version des Duden. Sieht man von diesem Makel einmal ab, so ist dem Duden ein ernstzunehmender Konkurrent entstanden.
Beide Wörterbücher sind auch auf CD-ROM erschienen. Das hat einen großartigen Vorteil: In der Volltextsuche erscheinen sämtliche Stellen, die das Suchwort enthalten, nebeneinander. Auf diese Weise werden nicht nur die entsprechenden Einträge erfaßt, sondern auch Sprichwörter, Redewendungen und Verweise, die an ganz anderen Stellen im Buch stehen. Diese Recherchemöglichkeit gibt es bei beiden CD-ROM. Sowohl die elektronische Version des Duden als auch des Bertelsmann- Wörterbuchs sind auf Erweiterbarkeit durch andere Nachschlagewerke auf CD-ROM angelegt.
Die Installation und Bedienung beider Wörterbücher ist kinderleicht. Selbstverständlich lassen sich die Rechercheergebnisse ausdrucken, in die Zwischenablage kopieren oder in die Textverarbeitung übernehmen. Aber auch hier lohnt sich der Blick aufs Detail. Während das Bertelsmann-Wörterbuch bei der Installation automatisch ein Icon in die Makroleiste von Word6 zaubert, muß man sich, um den Duden von dort aus zu benutzen, eine Tastenkombination einprägen. Außerdem muß der Duden immer schon vorab geladen sein, was bei der Bertelsmann-CD- ROM nicht vonnöten ist.
Noch eine andere Unbequemlichkeit ist bei der Duden-CD- ROM in Kauf zu nehmen: Selbst wenn man sich entschlossen haben sollte, den gesamten Inhalt der Scheibe auf die Festplatte zu kopieren, ist bei jedem Neustart des Programms zuvor die CD-ROM einzulegen. Diese Art von Kopierschutz auf Kosten der Benutzerfreundlichkeit ist eine arge Zumutung. Stellt man zusätzlich in Rechnung, daß auf der Bertelsmann- CD-ROM das Grammatikglossar und die Flexionstabellen elektronisch verfügbar sind, dürfte die Entscheidung pro Bertelsmann nicht mehr schwer fallen. Wenn – ja, wenn man nur darauf verzichtet hätte, das unschöne Layout des Buchtitels in der elektronischen Anwendung als Oberfläche zu benutzen. Hier sammelt der Duden in seiner gediegenen Gestaltung wiederum Pluspunkte.
Wenn Sie heute noch nicht über den Sinn der Rechtschreibreform nachgedacht haben sollten, gehen Sie erst einmal zu Ihrem Frigidaire und holen sich eine Erfrischung. Sollten Sie jetzt erst nachschlagen müssen, was ein Frigidaire ist, gehören Sie wohl zu jenen Zeitgenossen, denen es schnurzpiepegal (steht nur im Duden) ist, ob man das Ding in Zukunft auch „Frigidär“ schreiben darf. Herzlich willkommen! Ob die neuen Regeln, die Vielfalt an Varianten und die unterschiedlichen Verfallsdaten „richtiger“ Schreibung tatsächlich dafür sorgen, daß orthographische Kenntnisse nicht mehr überbewertet werden, darf getrost bezweifelt werden. Als taktische Formulierung ist der entsprechende Vorsatz der Reformer jedenfalls schon heute geeignet, die bittere Pille Rechtschreibreform zu versüßen, egal ob sie als Markenware oder als preisgünstiger Reimport verabreicht wird.
„Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache“. 21., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, hrsg. von der Dudenredaktion, Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1996, 38DM. CD-ROM: 78DM
„Die neue deutsche Rechtschreibung“. Verfaßt von Ursula Herrmann, völlig neu bearbeitet und erweitert von Lutz Götze. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1996, 19,90 DM. CD-ROM: 39,90DM
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