: Chirac laviert im Nahen Osten herum
Der französische Staatspräsident muß bei seinem Israelbesuch Verstimmungen ausräumen. Zuvor hatte er in Syrien eine verstärkte Rolle Europas in der Region gefordert ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Fettnäpfe auf Schritt und Tritt findet Frankreichs Präsident Jacques Chirac auf seiner dritten Nahostreise. Nachdem er sich zwei Tage lang in Syrien als „Freund der Araber“ feiern ließ und im Libanon halbherzige Erklärungen über die Souveränität des Landes abgab, traf er gestern in Israel ein, dem voraussichtlich schwierigsten Kapitel seiner „Friedensmission“. Bereits vor seiner Ankunft hatte es dort Verstimmung und Ablehnung gegeben. Unter anderem machte Regierungschef Benjamin Netanjahu deutlich, daß eine europäische „Einmischung“ in den Nahost-Friedensprozeß „unerwünscht“ und „hinderlich“ sei.
Ganz anders in Damaskus: Dort war der französische Gast auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt von Jubelsyrern empfangen worden, die „Es lebe Chirac, es lebe Assad!“ riefen. Mit Staatspräsident Hafis al-Assad, dessen Regime die Franzosen noch vor wenigen Jahren des Terrorismus bezichtigt hatten, traf sich Chirac binnen zwei Tagen gleich dreimal. Unter anderem versicherte der Franzose seinem Gastgeber, daß er allerorten – „auch in Israel“ – das Prinzip „Land gegen Frieden“ verteidigen werde, was auch für die israelisch besetzten (syrischen) Golanhöhen gelte. Über die Lage der Menschenrechte in Syrien verlor Chirac kein Wort. Er verzichtete auch darauf, einen Abzug der Syrer aus dem Libanon zu verlangen.
In Israel kam Chirac gestern als erster französischer Präsident ohne seinen Außenminister an. Nachdem die Israelis den geplanten – und bei Außenministerreisen routinemäßigen – Besuch von Hervé de Charette im Orient- Haus, dem inoffiziellen Sitz der PLO, verboten hatten, beschloß Chirac, ohne ihn zu kommen. Statt des Außenministers, der in Amman auf Chirac wartet, besucht nun der französische Gesundheitsstaatssekretär Hervé Gaymard das Orient-Haus im Ostteil von Jerusalem. Der israelische Außenminister David Levy kommentierte das ironisch mit den Worten: „Wir begrüßen jeden Versuch, das Leben der arabischen Bevölkerung in Jerusalem zu verbessern.“
Auch Chiracs Wunsch, von dem neuen palästinensischen Flughafen Rafah abzufliegen, scheiterte am israelischen Veto. Einen Knesset-Besuch setzte der französische Präsident erst auf sein Programm, nachdem israelische Politiker dem Staatsgast mit Boykott gedroht hatten. Auch den längeren Aufenthalt an der Klagemauer – als Ausgleich für Moscheenbesuche – beschlossen die Franzosen erst im allerletzten Moment.
Chiracs Besuch fällt in das Vakuum vor den US-Präsidentschaftswahlen. Bill Clinton hatte sich seit der neuerlichen Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts Ende September mit Kritik an Israel zurückgehalten. Chirac hingegen, bei dem Netanjahu gerade zum Staatsbesuch weilte, als der umstrittene Tunnel in Jerusalem eröffnet wurde, hatte deutliche Worte gegenüber Israel gefunden. Wenige Stunden nach Ausbruch der Straßenschlachten rief Chirac außerdem PLO-Chef Jassir Arafat an und versicherte ihm die französische „Solidarität und Unterstützung“.
Auf dem EU-Gipfel in Irland verteidigte Chirac Anfang Oktober die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Nahostpolitik. Die EU könne sich nicht darauf beschränken, 80 Prozent der Hilfe an die Palästinenser zu zahlen und den USA die Rolle des Friedensstifters zu überlassen.
Chiracs bereits im Frühjahr umrissene „Arabienpolitik“ steht ganz in der Tradition seines großen Vorbilds Charles de Gaulle, der alles mögliche unternahm, um keine amerikanische Hegemonie im Nahen Osten zuzulassen. Im April, nach dem Ausbruch neuerlicher Kämpfe zwischen den proiranischen Hisbollah-Milizen im Südlibanon und der israelischen Armee hatte dieses französische Postulat zu einer komplizierten diplomatischen Gemengelage im Nahen Osten geführt. Damals pendelte neben US-Außenminister Warren Christopher auch der französische Außenminister zwischen den regionalen Hauptstädten hin und her. Letzterer verstand seine Mission als „europäisch“, doch wurde sie in der EU, die ursprünglich ihre Troika in das Krisengebiet schicken wollte, erst nachträglich besprochen. Die Feuerpause zwischen den kämpfenden Parteien bezeichneten schlußendlich sowohl die USA als auch Frankreich als ihr Verdienst.
Angesichts der gegenwärtigen Verstimmungen schaltete sich am Sonntag der israelische Botschafter in Frankreich ein. Das Wort „Arabienpolitik“ gefalle Israel zwar nicht besonders. Aber ansonsten seien die beiden Länder „Freunde“, erklärte Avi Pazner beschwichtigend.
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