: Nachspiel zu Sex auf der Polizeiwache
Staatsanwaltschaft stellte Verfahren gegen Polizisten ein: Oralverkehr sei nicht unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses zustande gekommen. Darüber gibt es jetzt Streit ■ Aus Bremen Kerstin Schneider
„Die Geschichte hat mein ganzes Leben verändert“, seufzt Rainer W. ins Telefon. Mehr will der Kripobeamte nicht sagen. „Sie hat mich völlig umgeworfen“, sagt auch Patricia K*. Doch ansonsten stimmen die Versionen der beiden über ihre gemeinsame Geschichte mit keinem Satz überein.
Fest steht nur, daß es im Juni zwischen der wegen Zechprellerei festgenommenen Patricia K. und dem Kripobeamten Rainer W. auf einer Polizeiwache in Bremen zum Oralverkehr gekommen ist. „Der hat seine Hose runtergerissen und mich gezwungen, ihn mit dem Mund zu befriedigen“, wirft Patricia K. dem Beamten vor. Die Frau habe ihm plötzlich die Hose runtergerissen und ihn mit dem Mund befriedigt, sagt hingegen Rainer W. Vor lauter Überraschung habe er sich nicht gewehrt, denn mit Prostituierten habe er keine Erfahrung. Das glaubte ihm die Bremer Staatsanwaltschaft und stellte jetzt das Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung einer Amtsstellung ein.
Der Beamte, der zunächst vom Dienst suspendiert worden war, ist in den Polizeidienst zurückgekehrt. Ein Disziplinarverfahren gegen ihn läuft noch. Die Tat könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, so die Begründung der Staatsanwaltschaft. Obwohl der Beamte den Oralverkehr zugab, sind die Ankläger davon überzeugt, daß der Polizist seine Amtsstellung nicht mißbrauchte. Dazu hätte ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Festgenommenen und dem Polizisten bestehen müssen. Und dies hat die Staatsanwaltschaft nicht feststellen können: „Dem Beschuldigten müßte Ihre Beaufsichtigung anvertraut gewesen sein. Dies war hier nicht der Fall“, schrieb die Ermittlungsbehörde in ihrem Einstellungsbescheid an Patricia K. „Sie waren aufgrund einer richterlichen Anordnung in einer Zelle des Polizeireviers verwahrt. Die Beaufsichtigung oblag den Polizeibeamten der Wache. Der Beschuldigte führte lediglich eine erkennungsdienstliche Behandlung durch. Der Beschuldigte hatte hinsichtlich der Beaufsichtigung tatsächlich keinerlei Aufgaben oder Handlungsmöglichkeiten.“
Eine Begründung, die bei dem Polizeirechtler Rolf Gössner ungläubiges Kopfschütteln hervorruft. „Das ist mit Sicherheit zu leichtfertig eingestellt worden. Aus dem Verhältnis zwischen Bürger und Polizei ergibt sich per se ein Abhängigkeitsverhältnis. Selbst wenn die Frau versucht haben sollte, sexuelle Handlungen an dem Polizisten vorzunehmen, darf der Beamte sich das nicht gefallen lassen. Tut er es trotzdem, ist das mindestens ein Dienstvergehen, wenn nicht gar eine Straftat“, meint der Jurist.
Diese Einschätzung teilt auch Manfred Mahr vom Bundesvorstand der Vereinigung kritischer Polizeibeamter: „Das ist ein Schlag ins Gesicht jeder Frau“, empört er sich. „Die Einstellung heißt doch nichts anderes, als daß Frauen Polizeibeamten ausgeliefert sind. Einen Vorwurf, den die Bremer Staatsanwaltschaft nicht auf sich sitzenlassen will. „Das ist sehr sorgfältig geprüft worden“, versichert Pressesprecherin de Boer. Viel mehr will sie zu „dieser verzwickten Geschichte“ allerdings nicht sagen. Nur soviel: „Die Frau hat schon häufiger Männer zu Unrecht beschuldigt.“ Und: „Die Frau kommt aus einem schwierigen sozialen Umfeld.“
Dieses Umfeld ist von der Staatsanwaltschaft genaustens ermittelt worden: Der ehemalige Lebensgefährte von Patricia K. wurde von der Polizei vernommen. Vor allem über den Alkoholkonsum und den Lebensstil seiner ehemaligen Freundin wußte der Mann jede Menge zu sagen. Auch ein Freund, bei dem Patricia K. eine Weile lebte, wurde eingehend befragt. „Das ist doch ganz normal“, findet de Boer. „Das macht man immer, um die Glaubwürdigkeit zu prüfen, schließlich steht hier ja Aussage gegen Aussage.
Bei Sexualdelikten, in denen Aussage gegen Aussage steht, wird in der Regel allerdings auch den Zeugen eine besondere Bedeutung zugemessen. Ob dies geschehen ist, wird in Polizeikreisen bezweifelt. Auch die Zeugin, die Patricia K. nach der Tat auf der Straße aufgelesen und zur Wache begleitet hat, fühlt sich nicht richtig beachtet. „Drei Stunden bin ich vernommen worden. Aber die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt. Warum, ist mir schleierhaft. So eine zierliche Frau kann doch einen Beamten, der vermutlich sogar Judo kann, nicht überwältigen.“
Außerdem sei Patricia K. damals „völlig fertig gewesen“, erinnert sich die Frau, „das kann man nicht spielen.“ Auf der Polizeiwache hätten die Beamten versucht, die Vorwürfe herunterzuspielen. „Die ist doch bekannt. Die ist doch ein paar Mal am Tag hier.“ Auch die Anzeige wollten die Beamten, so die Zeugin, nicht aufnehmen. „Die haben gesagt, es würde schwierig werden, den Polizisten zu ermitteln. Das war ja die gleiche Wache, auf der das kurz zuvor passiert war.“ Erst als sie mit der Presse gedroht habe, seien die Beamten „ganz freundlich geworden“ und hätten das Protokoll aufgenommen.
Patricia K. ist es inzwischen leid, „alles mit sich machen zu lassen“. Sie hat gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Jetzt überprüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob die Einstellung Rechtens war. „Ich habe nichts zu beschönigen“, sagt Patricia K., „ich war Alkoholikerin und auch Prostituierte. Es stimmt, daß ich in meinem Brausebrand oft bei der Polizei angerufen habe und behauptete, vergewaltigt worden zu sein. Ich bin als Kind mißbraucht worden. In der Therapie habe ich jetzt herausgefunden, daß ich mit diesen Anrufen das irgendwie loswerden wollte. Doch dieser Mann hat mir Unrecht getan. Und ich will, daß er dafür zur Rechenschaft gezogen wird.“
Sollte das nicht im Rahmen des Strafverfahrens geschehen, könnte das Disziplinarverfahren Rainer W. den Job kosten. „Ich will das erst mal abwarten und dann sehen, wie ich mein Leben wieder auf die Reihe bekomme“, sagt der Kriminalbeamte.
Das geht Patricia K. ähnlich. „Ich kann das nicht auf mir sitzenlassen. Diese Sache ist wichtig für mich. Allein, damit ich mein weiteres Leben in Griff kriege.“
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