■ Der Parteitag der CDU stand gestern ganz im Zeichen der geplanten Steuerreform. Wer kontroverse Debatten erwartet hatte, wurde in Hannover enttäuscht. Kein Wunder: Denn die strittigen Punkte wurden erst gar nicht angesprochen
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Der Parteitag der CDU stand gestern ganz im Zeichen der geplanten Steuerreform. Wer kontroverse Debatten erwartet hatte, wurde in Hannover enttäuscht. Kein Wunder: Denn die strittigen Punkte wurden erst gar nicht angesprochen

Die Parole hieß Geschlossenheit

Am Anfang war der Beifall für Finanzminister Theo Waigel noch dünn. Aber Tagungsleitungen von CDU-Parteitagen haben Erfahrung darin, Applaus zu gewünschter Stärke hinaufzutreiben. Einfach nicht aufhören zu klatschen, die anderen werden schon wieder anfangen. Und so steigerte sich die Reaktion der Delegierten auf die Rede des CSU-Gastes zu herzlichem Zuspruch, dann zu stürmischem Applaus, ging endlich über in rhythmisches Klatschen. Der Schulterschluß der Schwesterparteien war demonstriert.

Der Finanzminister war aus München zum CDU-Parteitag nach Hannover gereist. Die Zusammenkunft stand gestern ganz im Zeichen seines Ressorts. Die Delegierten hatten über einen Leitantrag des Bundesvorstandes zur Steuerreform zu befinden. Die von manchen Beobachtern erwartete große Kontroverse zu so umstrittenen Themen wie der Besteuerung von Renten und Arbeitslosengeld blieb aber aus.

Die Parole der Geschlossenheit gab der Finanzminister schon in seiner Rede aus. Theo Waigel sprach umstrittene Punkte gar nicht erst an. Er blieb ganz allgemein. „Das sind verdammt schwere Zeiten, und wir müssen sie gemeinsam miteinander bewältigen“, beschwor er die Solidarität der Gemeinschaft. „An schmerzhaften Einsparungen führt kein Weg vorbei.“ Was darunter zu verstehen ist, erklärte der Finanzminister konkret an einem Beispiel, bei dem er sich der Zustimmung der Versammlung sicher sein konnte: Dazu gehöre die „Bekämpfung der mißbräuchlich in Anspruch genommenen Sozialhilfeleistungen“.

Auch der nächste Redner, Fraktionschef Schäuble, hielt sich am Großen und Ganzen fest. Das Erscheinungsbild der Koalition, das Verhältnis zur FDP und die Unbeständigkeit von Regierungsbeschlüssen kamen als Themen weder bei Waigel noch bei Schäuble vor. Für beide steht fest, wer an Finanzmisere und Haushaltsproblemen schuld ist: SPD und Bündnisgrüne mit ihrer „Blockade- und Verweigerungshaltung“.

„Unsere Botschaft ist: niedriger, einfacher, gerechter.“ Schäuble verband die Botschaft mit einer unmißverständlichen Warnung an die Delegierten. „Das Entscheidende ist, daß wir die große Reform wollen. Wer sie gleich zu Beginn schon in kleine Karos auflöst, der will sie in Wahrheit nicht.“ Der Fraktionsvorsitzende ließ keinen Zweifel daran, wen er meint. „Ich sage voraus: Jede Steuervergünstigung, die wir streichen, wird einen Aufschrei der Betroffenen nach sich ziehen ... Und mancher Verbündete, der uns zunächst schulterklopfend zur Seite stand, wird sich ganz schnell still und heimlich verdrücken.“

Der Teufel steckt, wie auch die CDU-Parteispitze weiß, vor allem im Detail. Allein die geplante Absenkung der Kilometerpauschale von 70 auf 20 Pfennig dürfte Gruppen in ihrem Protest in ein Bündnis zusammenzwingen, die sonst wenig politische Ziele gemeinsam haben – von den Spitzen der Automobilindustrie bis zum Pendler, der jeden Morgen aus dem Sauerland zu seinem Arbeitsplatz nach Dortmund kommen muß.

Einen kleinen Vorgeschmack von dem, was bei diesem Thema an Widerstand zu erwarten ist, bekam der CDU-Vorstand schon auf dem Parteitag. Über die parteiintern umstrittene Frauenquote war vor der Abstimmung in Hannover nicht einmal debattiert worden. Bei einer Fülle von Einzelanträgen folgten die Delegierten klaglos den Empfehlungen der Antragskommission und überwiesen die Entwürfe ohne Aussprache an andere Gremien – darunter Anträge zu so heiklen Fragen wie die der doppelten Staatsbürgerschaft und der Forderung nach Zahlung von Kindergeld schon während der Schwangerschaft. Die Rednerliste zum Thema Kilometerpauschale aber schien gar kein Ende nehmen zu wollen.

Am Ergebnis änderte das nichts. Eine deutliche Mehrheit stimmte dann dem Antrag des Bundesvorstands brav zu.

Vom Tisch ist das Thema damit noch lange nicht. Die Diskussion über Einzelheiten der Steuerreform hat noch gar nicht richtig angefangen. Insgesamt aber zeigte Schäubles Mahnung zur Geschlossenheit bei den Delegierten erst einmal die gewünschte Wirkung. Die Redner gehorchten in ihrer großen Mehrheit. Sie lobten zunächst einmal. Dann dankten sie für die großen Bemühungen. Und sie betonten, wie dringend notwendig eine große Steuerreform sei, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Als erster trat Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf ans Pult: „Ich habe mich nicht zur Aussprache gemeldet. Ich habe mich gemeldet, um Dank zu sagen.“ Dank für die „große Leistung der letzten sechs Jahre“. Die Richtung war vorgegeben.

Interessanter als das, was in der Debatte gesagt wurde, war das, worüber weitgehend geschwiegen wurde. Die Senkung des Spitzensatzes der Lohn- und Einkommensteuer von 53 auf 35 Prozent spielte in der Diskussion überhaupt keine Rolle mehr. Die geplante Besteuerung von bisher steuerfreien Lohnbestandteilen wie Sonntags- und Nachtarbeit erregte die Gemüter in Hannover nicht.

Ein einsamer Rufer blieb der Bundestagsabgeordnete Karl Josef Laumann vom Arbeitnehmerflügel mit seiner Warnung: „Wir müssen sehr vorsichtig sein bei der Besteuerung von Lohnersatzleistungen.“ Das Ergebnis am Schluß der Debatte hätte sich die Parteispitze kaum schöner ausmalen können. Die Delegierten segneten den Leitantrag des Vorstandes zur Steuerreform weisungsgemäß ab. Eine einzige Gegenstimme verzeichnet das Protokoll. Bettina Gaus, Hannover