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Berlin gibt sich nicht mehr so großmäulig

■ Am Wochenende eröffnete in Paris die große Planungsschau: „Berlin – eine Hauptstadt im Werden“

Der Pariser Berlin-Interessierte kann sich derzeit auf dem Dach der Grande Arche eine „Werkstatt“, fast eine Lagerhalle städtebaulicher und architektonischer Planungen ansehen, die abweicht von der üblichen hochglanzpolierten Hauptstadteuphorie, wie sie etwa die „Schaustelle Berlin“ praktizierte. In einem scheinbaren Durcheinander von mehr als 100 Modellen, die um das zentrale Modell der Ostberliner Innenstadt herum aufgebaut sind, wird die Komplexität und Vielschichtigkeit der verschiedenen Planungen gezeigt, die die Stadt derzeit in den Rang der größten Baustelle Europas aufsteigen läßt.

Die schmale Grenze zwischen diesem Museums- und Werkstattcharakter ist von den verantwortlichen Konzeptoren, den Architekten Wolfgang Schäche und Gerhard Spangenberg, präzis bespielt worden: Sie haben alle Modelle ihrer Plastikdeckel entledigt, gegen starke Widerstände der Architekten, und sie auf Gerüststangen unprätentiös hingestellt, wie in jedem beliebigen Architekturbüro. „Wir wollen, trotz der Einmaligkeit der Situation Berlins, niemandem hier beweisen, daß wir alles besser machen“, so Wolfgang Schäche und Gerhard Spangenberg, „sondern einen Entwicklungsstand zeigen.“

Der Besucher bewegt sich auf Holzbohlen oder, bei Fehltritten, auch im Sand, selbst wenn es sich hier nicht um den märkischen handelt, sondern um den aus dem Wald von Fontainebleau. Diese sensitive Herangehensweise fügt sich recht harmonisch in die etwas unausgefeilte Beton-Innenarchitektur des „Toit de la Grande Arche“ ein. Ob hingegen die bewußte Beschränkung ausschließlich auf die Darstellung der Ostberliner Mitte dem Informationsbedarf auf französischer Seite gerecht wird, sei dennoch in Frage gestellt.

Mit Mühe entdeckt man den ehemaligen Verlauf der Mauer im großen zentralen Stadtmodell. Ihre Verdammung aus dem Modell beantwortet zweifelsohne das Bedürfnis der Berliner, nicht mehr an sie erinnert zu werden. Sie reagiert aber nicht auf das der Pariser, nachvollziehen zu wollen, wie präzise mit ebendieser Nahtstelle der Geschichte umgegangen wird.

Ein sympathischer und wohltuender Zug in der Konzeption dieser Ausstellung darf nicht unerwähnt bleiben: Ihre Autoren haben sehr bewußt darauf gezielt, so Wolfgang Schäche, der oft bauchnabeligen Starkultur der Architekten ein Stück Modestie entgegenzusetzen. Es gibt keine peinlich aufgesockelten Gipsbüsten noch ausübender Architekten zu bestaunen, wie dies in der roten Infobox am Potsdamer Platz der Fall ist. Berlin kommt auf leisen Sohlen.

Auf zu leisen Sohlen? Die politischen Diskurse anläßlich der Eröffnungsfeier waren bekräftigend: Berlin als neue Bundeshauptstadt zeigt sich europäisch, föderativ und ohne Anspruch auf Vorherrschaft im westlichen oder östlichen Europa.

Diese demonstrative Haltung riskiert, sich durch eine scheinbar banale, aber nicht ganz unwesentliche Kleinigkeit quasi in ihr Gegenteil zu verkehren, betrachtet man das Plakat, mit dem sich die Berlin-Ausstellung in Paris ankündigt: Auf großem fotografischem Grund ist das Gebäude der Grande Arche de la Défense dargestellt, in majestätisches Blau getaucht und zwei Drittel des Plakates einnehmend. Im letzten Drittel, oben links in die Randposition verwiesen, schwebt vereinsamt als unbedarfter weißer Winzling in der Gesamtkomposition deutsch-französischer Selbstdarstellung das deutsche Parlamentsgebäude, demokratisch- gläsernes Symbol der zukünftigen Bundeshauptstadt.

Das Plakat erscheint bezeichnenderweise in der Pariser Metrostation „Concorde“, mit „Zusammenklang“ übersetzt, wo man nun überschnell ableiten könnte, daß sich Paris gerade in Berlin darstellt. Für diejenigen, die das Werk haben bestaunen dürfen: Man betrachte die Perspektive des gewählten Bildausschnittes: Berlin schaut, bis zum letzten Werbeplakat und Faltblatt, zu Paris und seinem Symbol der Menschenrechte auf. Christa Aue

Christa Aue ist Architektin und Stadtplanerin in Paris

Die Schau ist in der Pariser Grande Arche bis zum 5. Januar 1997 täglich von 10 bis 19 Uhr zu sehen.

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