„Wir arbeiten nur unter Vorbehalt“

Für die Arbeiter des Bochumer Schmiedewerks ist klar: Bei der Lohnfortzahlung gibt's keinen Kompromiß!  ■ Von Walter Jakobs

Die Kokskohleöfen brannten vor den Toren der Stahlhütten. Schon während der Nacht zum Donnerstag hatten sich die streikenden Stahlarbeiter um die wärmenden Feuer aus den Stahlkörben gruppiert.

„Was unsere Großväter erstreikt haben, lassen wir uns nicht wegnehmen“, sagt Günther Kahle, der vor dem Werkstor der Vereinigten Schmiedewerke (VSG) in Bochum seine Kollegen zur Mittagszeit mit Bratwürsten versorgt. „Wenn die Arbeitgeber bei der Lohnfortzahlung nicht einlenken“, ist der seit 36 Jahren bei den Schmiedewerken beschäftigte Kahle überzeugt, „wird es zum Arbeitskampf kommen. Wir alle sind dazu bereit.“

Die Leute ließen sich auch von den Drohungen aus den Führungsetagen der Betriebe nicht abhalten. Von dort hieß es, das seien rechtswidrige Proteste und Verstöße gegen die Arbeitsordnung. „Ein paar Angestellte sind reingegangen“, sagt Kahles Nebenmann, „aber solche Schmarotzer haste immer.“ Doch die Produktion in den mit 850 Beschäftigten eher zu den Zwergen der Branche zählenden Schmiedewerken ruht an diesem Tag ebenso wie in allen Werken von Thyssen, Klöckner oder Hoesch-Krupp.

Die hundertprozentige Lohnfortzahlung ist auch in der Stahlindustrie ohne direkten Bezug zum Gesetz im Tarifvertrag abgesichert. Nach Auffassung der IG Metall in so eindeutiger Weise, daß sich die Anwendung der von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzesverschärfung schon allein aus juristischen Gründen verbietet. Trotzdem hat der Stahlarbeitgeberverband allen Unternehmen empfohlen, den vollen Lohn im Krankheitsfall nur noch unter „Vorbehalt“ zu zahlen. Viele Mitgliedsunternehmen sind dem gefolgt. Kranken Stahlkochern flattern deshalb in diesen Tagen Briefe ins Haus, in denen eine teilweise Rückforderung angedroht wird.

Doch die Umsetzung könnte die Branche teuer zu stehen kommen. „Wenn auch nur einem einzigen kranken Stahlarbeiter der Lohn gekürzt wird, stehen alle Betriebe still.“ Als das gestern der mächtige nordrhein-westfälische IG-Metall- Bezirkschef Harald Schartau vor dem Bochumer Krupp-Hochhaus ankündigt, rühren sich die Hände von Tausenden von Stahlkochern zum Applaus. Stürmischen Beifall erntet Schartau während der Kundgebung auch für sein Versprechen, daß die IG Metall keinen allein lassen werde. „Ab sofort“, so Schartau mit Blick auf die Arbeitgeberschreiben, „wird auch nur noch unter Vorbehalt gearbeitet“. Bei der Lohnfortzahlung gebe es „keinen Kompromiß“.

Buh-Rufe und Pfiffe gab es in Bochum immer dann, wenn der Name von Bundeskanzler Kohl fiel. Daß der jetzt die Unternehmen zur Vertragstreue ermahne, geißelte Herbert Kastner, Betriebsratsvorsitzender bei Krupp- Hoesch, als „bodenlose Heuchelei“. Tatsächlich habe „Brandstifter“ Kohl die Basis für den „Vertrauens- und Tarifbruch“ der Arbeitgeber selbst geschaffen und deshalb müsse er jetzt „zurücktreten“, forderte Kastner zur Freude des Publikums.

Eine neuen politischen Kampfbegriff kreierte gestern der Bochumer IG-Metall-Chef Ludger Hinse. Für Hinse geht es in dem aktuellen Kampf darum, den Rückfall in die „Rübenkrautpolitik“ zu verhindern. Was das ist? In Hinses Kindheit habe immer dann, wenn sein Vater krank gewesen sei, der Speiseplan wegen der Karenztage geändert werden müssen. Statt Wurst gab es bei Hinses dann Rübenkraut. Niemals dürfe es wieder soweit in Deutschland kommen.