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„Sie hätten ihn kennenlernen sollen!“

Am letzten Mittwoch wurde Achmed Bachir erstochen. Der 30jährige Syrer starb, als er in dem Gemüseladen seines Freundes Shahim zwei randalierenden jungen Männern freundlich die Tür wies  ■ Aus Leipzig Detlef Krell

Wir müssen miteinander auskommen!“ Shahim wiederholt diesen Satz wie eine Beschwörung. Der junge, hagere Syrer, der nur seinen Nachnamen sagen möchte, hält die Tränen zurück, seine Hände suchen Halt. Mit ihm stehen Araber, Deutsche, Frauen, Männer, viele Jugendliche, einige Ältere vor diesem Gemüseladen auf der Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig. An der Ladentür liegen Blumen; Kerzen flackern, und immer wieder legt jemand neue Blumen dazu.

Am Mittwoch, kurz nach 18 Uhr, verblutete hier der 30jährige Syrer Achmed Bachir. Achmed hatte sich allein nach Deutschland durchgeschlagen, um von hier aus seine Familie in Damaskus zu unterstützen: seine Frau, seine Tochter, die jetzt drei Jahre alt ist und die er noch nie gesehen hat, seine kranke Mutter. Die deutschen Behörden registrierten ihn als Asylbewerber und steckten ihn in ein Heim. Die Chance, in diesem Land Asyl gewährt zu bekommen, war gleich Null. Ist gleich Null. Solche wie Achmed Bachir heißen im politischen Deutschland „Wirtschaftsflüchtlinge“.

An diesem Mittwoch gegen 18 Uhr betraten die beiden Leipziger Daniel Z. und Norman E. das Obst- und Gemüsegeschäft auf der Karl-Liebknecht-Straße. 18 Jahre und Lehrling der eine, 20 Jahre und auf einer ABM-Stelle der andere. Ob sie betrunken waren, weiß bis jetzt niemand. Eines ist nur sicher: Sie waren nicht gekommen, um einzukaufen. Im Laden bedienten zwei Verkäuferinnen. Deutsche. Die Männer stießen Auslagen um, warfen mit Apfelsinen, brüllten, drohten. „Türkenschlampen“, sollen sie die Frauen beschimpft haben. Gehöhnt, die sollten doch ihre „Türkenbullen“ holen. Die Straße muß belebt gewesen sein zum Ladenschluß, hier gibt es viele kleine Geschäfte. Glatzköpfe gehören hier nicht zum Straßenbild, die halten sich, wie die Leipziger wissen, eigentlich in anderen Vierteln auf.

Achmed hatte am Mittwoch wieder in Shahims Laden geholfen, wie so oft in den letzten Wochen. Ohne Bezahlung, aus Freude am Anpacken, weil er unter Leuten sein wollte, weil er in seinem Landsmann Shahim einen Freund gefunden hatte. Er verstand kaum ein Wort Deutsch. Als er die randalierenden Jugendlichen bemerkte, klatschte er, wie es seine Art war, wenn er an eine neue Arbeit ging, zwei-, dreimal in die Hände: „Nun ist gut, wir wollen jetzt schließen, geht nach Hause“, bedeutete er den Jungs mit dieser Geste; vielleicht hat er auch etwas auf Arabisch gesagt. Die jungen Männer ließen sich von ihm bis vor die Ladentür begleiten, dort stach einer auf Achmed ein. Von vorn, in die Brust. Mit einem Butterfly- Messer. Einfach so.

„Wir müssen miteinander auskommen!“ fordert Shahim in seiner Trauerrede vor einigen hundert Leipzigern und in Leipzig lebenden Ausländern. „Wenn ein Deutscher, ein Europäer nach Syrien kommt, wird er nett empfangen. Bei uns sind Ausländer beliebt.“ Minuten nach dem Verbrechen traf der Inhaber, der noch ein weiteres Gemüsegeschäft in Leipzig führt, auf der Liebknecht- Straße ein. Er sah den Freund in einer Blutlache liegen; ärztliche Hilfe kam zu spät. Die beiden Verkäuferinnen erlitten einen Schock.

Seit 11 Jahren lebt Shahim in Deutschland, ein Drittel seines Lebens. Er hat in der Hansestadt Wismar die deutsche Sprache gelernt und an der Karl-Marx-Universität Leipzig Bauwesen studiert. Viele Syrer erhielten damals im Austausch mit DDR-Studenten einen Studienplatz. „Das Schicksal“ machte den Bauingenieur zum Gemüsehändler. „In Leipzig gibt es viele Händler mit Hochschulabschluß“, erklärt er den Deutschen auf der Trauerkundgebung ohne Verbitterung: „Ärzte, Ingenieure... Das sind Menschen, die in Leipzig bleiben und investieren wollen. Wir wollen friedlich in dieser Stadt leben.“ Ihm würde es schwerfallen, Leipzig zu verlassen, er habe sich „an das Leben hier, an die Leute und, sagen wir so, an die Ordnung gewöhnt.“

Nun ist sein bester Freund in Leipzig getötet worden. Bis zu diesem Abend wußte Shahim nicht einmal, in welchem Heim Achmed wohnte. Das war unwichtig, als man hier beim Kaffee saß, Gemüsekisten schleppte oder Kindern Weintrauben schenkte. „Sie hätten Achmed mal kennenlernen sollen“, wünscht er den Trauernden. „Er war ein freundlicher, netter Mensch, der niemandem etwas zuleide tun konnte. Bestimmt hat er nicht einen Moment geahnt, daß die Jugendlichen ihn angreifen würden.“ Über Freunde in Damaskus erreichte Shahim nach Mitternacht Achmeds Frau. Er hörte ihren Schrei, als er am Telefon von dem „tragischen Unfall“ sprach. Achmed Bachir soll nach Syrien überführt werden. Zur Unterstützung seiner völlig mittellosen Familie wird ein Spendenkonto eingerichtet und noch an diesem Abend Geld gesammelt.

Mit den Leipziger Antifa-Gruppen und AusländerInnen-Initiativen, die den Trauermarsch organisiert haben, kommen Leute aus der Nachbarschaft; Kunden des beliebten Gemüseladens. Viele kannten Achmed. Shahim dankt allen, die „hier mit mir geweint haben und mir Mut machen, mein Geschäft wieder zu eröffnen.“ Shahim erhebt keine politische Anklage. Nicht an diesem Ort. Er wünscht, „daß wir alle daraus lernen. Und wir möchten unsere Kinder besser erziehen. Damit so etwas nicht noch einmal vorkommt.“

Leipzig im Herbst 1996. Die Stadt streitet um einen S-Bahn- Tunnel quer durch die City, vom Hauptbahnhof zum Bayerischen Bahnhof. Für 1 Milliarde Mark. Auf einem Spielplatz werden selbstgebastelte und mit Nägeln gefüllte Sprengsätze gefunden. Ein Sprengsatz detonierte bereits, er lag in einem steinernen Abfallbehälter versteckt. Zufällig war kein Mensch in der Nähe. Das Amtsgericht verurteilt acht Männer wegen gefährlicher Körperverletzung zu Bewährungsstrafen von 7 bis 14 Monaten. Sie hatten vor einem Jahr vier portugiesische Bauarbeiter verfolgt und krankenhausreif zusammengeschlagen. Nach Ansicht des Gerichtes sei eine „rechtsorientierte Gesinnung“ der Täter nicht nachweisbar.

Ausländerfeindlichen Haß mag die ermittelnde Staatsanwaltschaft auch bei diesen beiden Jugendlichen, die Achmed umbrachten, nicht erkennen. Aus ein paar Sprüchen könne man, so der Oberstaatsanwalt Rainer Moser, nicht auf die Hintergründe der Tat schließen. Die Männer wurden unmittelbar nach der Tat gestellt, nun sind sie in Untersuchungshaft. Das Motiv der Tat sei bislang noch unklar, heißt es in der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen laufen.

Ein Sprecher der Antifa-Gruppen erklärt: „Die beiden jungen deutschen Rassisten sind bestimmt nicht in der verbotenen FAP, der Nationalistischen Front, Wiking- Jugend oder anderen unter Beobachtung staatlicher Behörden stehenden neonazistischen Organisationen organisiert. Sie sind organisiert im organisierten Deutschtum, das keine festeren Strukturen braucht als den allgemein verbreiteten rassistischen Normalkonsens in dieser normalen deutschen Bevölkerung, aus der heraus seit sechs Jahren ganz normalerweise solche Taten begangen werden.“

500 DemonstrantInnen ziehen an diesem Abend von der Karl- Liebknecht-Straße durch die Innenstadt zum Gebäude der Ausländerbehörde – „dahin, wo viele Probleme herkommen“, wie ein Sprecher meint. Auf Transparenten, die von den in Leipzig lebenden „ausländischen Mitbürgern“ getragen werden, steht: „Wenn keine Abschiebung, dann Mord“ und „Wie lange bleiben Ausländer in diesem Land noch ungeschützt?“ Eine kleine, schweigende Demonstration im Feierabend der boomenden Halbmillionenstadt.

Shahim demonstriert nicht mit zur Behörde. Er bleibt im Laden, zwischen all den Blumen und mit seinen Erinnerungen. Nach arabischem Brauch wird er sieben Tage lang hier um den Freund trauern. Seine Mitarbeiterinnen hat er solange beurlaubt. Bis spät in die Nacht werden immer wieder Bekannte und Fremde zu ihm kommen, reden, rauchen, schweigen. Shahim wird sich immer wieder fragen, was wohl Menschen dazu bringt, einen anderen zu töten. Wäre er nur rechtzeitig hiergewesen, wird er sich sagen, er hätte diese Typen vor die Tür gesetzt. „Achmed war viel zu nett, sich zu wehren.“

Die Gedenkfeier für Achmed Bachir findet am Dienstag, den 29. Oktober, 14 Uhr, am „Frupa“-Laden, Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig statt. Geldspenden für die Familie des Getöteten werden unter dem Namen Thomas Heuer auf der Konto-Nummer 30-40-30 bei der Deutschen Bank, BLZ 860-70-00 gesammelt.

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