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Schweigeminute beim Blick auf Sarajevo

Auf ihrer Reise durch Bosnien-Herzegowina haben acht grüne Spitzenpolitiker einige ihrer bisherigen Positionen verändert: Gehen deutsche Truppen jetzt mit ihrer Unterstützung nach Bosnien?  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Das Gepäck der Delegation von Bündnis 90/ Die Grünen war bei der Ankunft in Kroatien klein geraten. Und doch schleppten die fünf Bundestagsabgeordneten sowie die Vorstandssprecher Krista Sager und Jürgen Trittin das ganze Gewicht der innerparteilichen Auseinandersetzungen mit auf ihre Bosnienfahrt. Denn wie kaum ein anderes außenpolitisches Thema hatte der Krieg im ehemaligen Jugoslawien innerparteiliche Gräben aufgeworfen.

Die zuzuschütten und eine möglichst gemeinsame Position zu erarbeiten war wohl der Sinn des Unternehmens. Es schien, als sei schon vorher alles ausgekaspert: In der Flüchtlingsfrage könnte man sich einigen, in der Frage von Ifor und der deutschen Beteiligung müßte eine Kompromißformel gefunden werden. Daß später vieles anders kam, wußte zu Beginn noch niemand. Noch standen die Fronten: Marieluise Beck, Gerd Poppe, Werner Schulz auf der einen, Jürgen Trittin und Kerstin Müller auf der anderen, Krista Sager, Winni Nachtwei und Joschka Fischer irgendwie dazwischen. Der Parteiarithmetik war Genüge getan, alle waren vorsichtig und abtastend.

Pfiffig hatte sich die Bundeswehr in Trogir auf den Besuch der Grünen eingestellt. Nachdem der Kommandierende, General Riechmann, einen Überblick über die Tätigkeit der Bundeswehr im Rahmen der Ifor gegeben hatte – das Hospital, den Brückenbau der Pioniere, die Versorgung anderer Einheiten –, forderten junge Soldatinnen Gleichberechtigung für sich ein, auch bei dem Dienst an der Waffe. Erfrischend sei die Diskussion gewesen, sagte später Krista Sager, und die Berührungsängste zum Militär waren etwas abgebaut. Doch niemandem war eine Stellungnahme zur Teilnahme der Bundeswehr an einem erweiterten Ifor-Einsatz in den nächsten Jahren zu entlocken. Lediglich ein Interview Trittins mit RTL, in dem er meinte, die Dienste der Bundeswehr könnten auch vom Technischen Hilfswerk und vom Roten Kreuz erfüllt werden, sorgte für Gesprächsstoff und ein bißchen Ärger. Die Bundeswehr ließ anfragen, ob der Hubschrauberdienst für die Delegation auch vom Technischen Hilfswerk zur Verfügung gestellt werden könnte.

Doch schon der Besuch in Mostar brachte Risse ins Gefüge der Selbstgewißheiten. Nicht nur der Eindruck der zerstörten Stadt hinterließ seine Spuren, auch die klaren Aussagen des derzeitigen Administrators der EU-Administration, Sir Martin Garrod. Der erklärte klipp und klar, daß die internationalen Truppen der Ifor notwendige Voraussetzung für die zivile Implementierung des Abkomens von Dayton seien. Und auch, daß die internationale Gemeinschaft die Beteiligung deutscher Truppen an dieser Aufgabe wünsche.

Auf der Fahrt durch das zerstörte Land nach Sarajevo schwiegen viele. Mit Informationen über den Frontenverlauf und die Kämpfe 1992/93, den Belgerungsring um Sarajevo und den Abzug der Serben überhäuft, mußten die Eindrücke erst verarbeitet werden. Der Organisator der Reise, der Menschenrechtsbeauftragte der Partei, Uli Fischer, führte die Delegation zu einer Straße oberhalb Sarajevos. Der Blick auf die halbzerstörte Stadt aus der Perspektive der Belagerer geriet zur Schweigeminute.

An der Botschaft aller Gesprächspartner in Sarajevo sei nicht zu deuteln, wird Joschka Fischer später sagen – sei es Ministerpräsident Muratovic, der Vize- Wiederaufbauminister der bosnischen Regierung, der OSZE-Vorsitzende Frowick oder deutsche Diplomaten, unter ihnen Botschafter Preisinger und Michael Steiner, dem Stellvertreter von Carl Bildt, oder die Chefredakteure einiger unabhängiger Zeitungen und Radiostationen aus Sarajevo: Die schnelle Rückkehr der Flüchtlinge sei unverantwortlich und könnte den fragilen Friedensprozeß gefährden. Die militärische Seite, die Stationierung von Ifor, sei notwendige Voraussetzung für den zivilen Prozeß der Demokratisierung. Die nicht national gebundenen Parteien, Menschenrechtskomitees und die freie Presse müßten unterstützt werden.

In Tuzla, nochmals konfrontiert mit den Folgen des Krieges, mit dem Bürgermeister von Srebrenica, Vertretern des Helsinki-Komitees und des alternativen Parlaments sowie dem nicht national gebundenen Bürgermeister der Stadt, Selim Beslagic, kristallisiert sich die Position für Fischer noch klarer heraus. In der Nacht zu Freitag verliest er um zwei Uhr morgens eine Sechs-Punkte-Erklärung, in der er die Position der Fraktion formuliert und die grüne Partei auffordert, im Rahmen ihrer Stiftung die demokratischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina nachhaltig zu unterstützen. Die Frage der deutschen Beteiligung an einem neuen Mandat der Ifor wird nicht mehr ausgeklammert. Fischer ist dafür.

Kerstin Müller, Gegnerin einer deutschen Beteiligung am Ifor- Einsatz, hält sich mit Kritik zurück. Da die Bundeswehr ohnehin in Bosnien tätig ist, sei es nicht wichtig, ob sie auch in Zukunft dort stationiert werde. Der Ifor-Einsatz sei wohl notwendig, für wichtiger jedoch hält sie nach wie vor die Unterstützung des zivilen Friedensprozesses. Auch der Verteidigungsexperte Winni Nachtwei, der bisher dem Lager der Pazifisten zugerechnet wurde, läßt erkennen, daß er nichts mehr gegen ein neues Mandat von Ifor hätte. Die deutsche Beteiligung müßte jedoch gründlich diskutiert werden. Lediglich Jürgen Trittin meldet weiterhin grundsätzliche Bedenken an. „Beckstein schickt die Flüchtlinge zurück, und Rühe schießt den Weg frei“, sagt er flapsig, und meint es doch nicht wieder so. Im Ernst jedoch sieht er nach wie vor in einem militärischen Engagement Deutschlands eine Vorstufe für eine deutsche Großmachtpolitik. In der Debatte um Bosnien dürfte es ihm jedoch schwerfallen, diesen Standpunkt durchzusetzen – in der Delegation jedenfalls hat sich die Waage zur anderen Seite geneigt.

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