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Arbeitsteilung der ganz besonderen Art

Sparen auf Kosten der Schwächsten: Weil die Betreuungstelle für minderjährige Flüchtlinge unterbesetzt ist, dürfen Flüchtlingsorganisationen die Arbeit machen – ungefragt und ehrenamtlich  ■ Von Marina Mai

„Dein Asylantrag wurde leider abgelehnt“, stand in dem Brief, den T., ein 14jähriger kurdischer Asylsuchender, von seinem Vormund vom Treptower Jugendamt bekam. Das Treptower Jugendamt betreut seit einem Jahr zentral für alle 23 Bezirke die minderjährigen Asylsuchenden. Damit ist das Amt hoffnungslos überfordert. Derzeit kommen auf einen Sachbearbeiter rund 600 Vormundschaftsfälle. Vorher wurde diese Aufgabe von karitativen Organisationen und Einzelpersonen geleistet. Das war dem Senat zu teuer.

Der Vormund, so erfährt T. im Brief weiter, habe gegen die Ablehnung beim Verwaltungsgericht geklagt – die Klage allerdings nicht begründet. Und weil eine Klage ohne Begründung keine Aussicht auf Erfolg hat, soll sich T. selbst um eine Begründung bemühen.

T. kann sich einen Rechtsanwalt dazu nehmen. Bezahlen muß er den aber selbst. Und weil T. kein Geld hat, legt der Amtsvormund ihm ein paar Adressen von Vereinen bei, die solche Begründungen kostenlos schreiben würden. Dazu gehören das kurdische Zentrum in Kreuzberg und die „Oase“ in Pankow.

T. schwänzt einen Tag in der Schule und fährt nach Kreuzberg. Marion Kellner, derzeit einzige bezahlte Stelleninhaberin beim kurdischen Zentrum, kann ihm nicht helfen. Sie erstickt in Arbeit. Ihr werden die Jugendlichen geschickt, ohne daß je ein Amtsvormund mit ihr gesprochen hätte, ob sie deren Arbeit machen würde.

Geld bekommt das kurdische Zentrum auch nicht für die Übernahme von Arbeiten des Treptower Jugendamts, nicht einmal Papier und Briefmarken werden erstattet. Dem Verein wurden sogar Mittel gestrichen. Marion Kellner schickt T. schweren Herzens weiter nach Pankow. Doch auch Brigitte Kallmeier bei der „Oase“ bekommt täglich etwa drei Jugendliche vom Vormund aus Treptow geschickt. Sie versucht, den kurdischen Jugendlichen zu helfen, weil das sonst niemand macht.

Aber eigentlich sei dies Aufgabe des Vormunds, meint auch Brigitte Kallmeier. Doch die Vormünder sind weder für diese Arbeit qualifiziert, noch haben sie die Zeit. Für eine Klagebegründung nimmt sich Brigitte Kallmeier drei Stunden Zeit, mit dem Jungen zu sprechen, sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn ein Vormund in Treptow für 600 Jugendliche zuständig ist, kann er diese Zeit nicht aufbringen.

Fünf Staatsdiener sind im Treptower Jugendamt bereits mit dieser Aufgabe betraut, antwortete das Bezirksamt jetzt auf PDS- Anfrage. Brigitte Kallmeier von der Pankower „Oase“ bestreitet das. „Wir hatten bisher nur mit zwei Mitarbeitern zu tun.“ Fünf weitere Stellen sind vom Senat in Aussicht gestellt, „soweit diese kostenneutral erfolgen“, also aus dem Personalüberhang.

Der öffentliche Dienst muß Personalkosten sparen, darf aber niemanden entlassen. Also hofft man auf die natürliche Fluktuation. Und da die nicht einsetzt (wohin sollen die Staatsdiener angesichts der Arbeitsmarktsituation auch fluktuieren?), nimmt man den freien Trägern die Arbeit ab und die Jobs weg.

Spezialisten für Asylangelegenheiten fallen aber nicht vom Himmel. Kenntnisse aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge wurden den Vormündern auf Weiterbildungsveranstaltungen nicht vermittelt. Die könne man in der Literatur nachschlagen und bei den Interessenvertretungen der Ausländer erfragen, meinte der Stadtrat auf PDS-Anfrage.

„Eine Begründung der Klage vor dem Verwaltungsgericht ist nur erfolgversprechend, wenn das individuelle Verfolgungsschicksal in die Menschenrechtssituation des Herkunftslandes eingebettet wird. Dazu müßte man regelmäßig alle ai-Berichte aus allen Ländern verfolgen. Für einen einzelnen Menschen ist das unmöglich“, sagt Elisabeth Reese von „Asyl in der Kirche“.

Weil man in Treptow vielleicht doch weiß, daß man das Fachwissen nicht hat, werden die Flüchtlingskinder zu den Vereinen geschickt. „Bei der Auswahl der Vereine hat das Jugendamt keine glückliche Hand. Es gibt Vereine, die politische Interessenvertreter einer bestimmten Partei im Verfolgerland sind. Der Vormund schickt aber aus Unkenntnis generell alle Jugendlichen aus diesem Land dorthin, auch wenn sie mit dieser politischen Richtung nichts zu tun haben. Dann erhalten sie keine Hilfe“, berichtet Elisabeth Reese von „Asyl in der Kirche“.

Die öffentliche Hand streicht den Vereinen die Mittel, ist aber gleichzeitig auf ihre Mithilfe angewiesen, weil die Staatsdiener aus dem Personalüberhang mit den neuen Aufgaben überfordert sind. Eine merkwürdige Arbeitsteilung: Die einen haben die Jobs. Das sind die öffentlich Bediensteten. Die anderen werden ihre Klientel schon nicht im Stich lassen und weiterarbeiten. Ehrenamtlich – versteht sich.

Ohne freie Träger könnten sich die Amtsvormünder nicht einmal mit ihren Mündeln unterhalten. Denn sie setzen klammheimlich voraus, daß ihnen deren Dolmetscher für Gespräche mit ihren Mündeln zur Verfügung stehen.

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