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Bibelsprüche und Skandale

Kurz vor Schluß ist der Wahlkampf in den USA noch einmal hektisch geworden – Bill Clinton ist froh, daß heute endlich Wahltag ist  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Für ein Rennen, das angeblich schon entschieden ist, verliefen die letzten Tage vor dem Wahltag ziemlich hektisch – zumindest auf seiten der Kandidaten. Bob Dole hat 96 Stunden Nonstop-Wahlkampf hinter sich, in denen er vor halbleeren Rängen mit dem starrköpfigen Stolz des vermutlichen Verlierers Bill Clintons skandalträchtige Amtsführung anprangerte und sein Steuerprogramm anpries. Clinton wiederum eilte per Flugzeug von einer Veranstaltung zur nächsten – sei es Gottesdienst oder Kundgebung – und flocht unter lautem Beifall Bibelzitate und Wahlkampfversprechen zusammen. So unnachahmlich gut, daß „man nicht mehr wußte, welche Sätze woher stammen“, wie ein Fernsehkommentator bemerkte.

Meinungsumfragen gaben dem Präsidenten am Wochenende weiterhin einen klaren Vorsprung von zehn Prozent vor seinem republikanischen Herausforderer. Doch im Clinton-Lager ist man sichtlich froh, daß die Wahlen heute und nicht in einer Woche stattfinden. Die öffentliche Empörung über die Methoden der Spendenbeschaffung der beiden Parteien, haben vor allem den Demokraten zugesetzt und den Präsidenten und seine Berater erstmals in diesem Wahlkampf in die Defensive getrieben. Die haben nun Mühe, Wahlkampfgelder aus südkoreanischen, indonesischen und taiwanesischen Konzernen zu rechtfertigen und die Anwesenheit eines Drogenschmugglers bei einem Dinner von Vizepräsident Al Gore mit ausgewählten Sponsoren zu erklären.

Den Vorwurf der eklatanten Verletzung von Gesetzen zur Wahlkampffinanzierung erhebt die Organisation „Common Cause“, die sich seit Jahren für eine Reform des Spendenwesens einsetzt, gegen beide Parteien. Dies sei nicht nur der teuerste Wahlkampf in der US-Geschichte, schrieb ihr Mitbegründer Fred Wertheimer am Sonntag in der Washington Post, sondern auch „der schmutzigste“. Wertheimer wirft beiden Seiten vor, massiv Spendenlimits mißachtet sowie Gelder für andere Verwendungszwecke unter Mißachtung der Gesetze in den Wahlkampf gesteckt zu haben. „Das Verhalten unserer führenden Politiker in bezug auf Wahlkampfgesetze ist nicht anders als das von Steuerbetrügern.“ Das US-Justizministerium erwägt inzwischen, einen unabhängigen Ermittler einzusetzen.

Die Empörung bezüglich der Spender richtet sich nicht nur gegen Konzerne der Privatwirtschaft, die wie immer sechsstellige Summen an ihre Kandidaten oder – zwecks ausgewogener Einflußnahme – an beide Seiten überwiesen haben. Kritik wird zunehmend an den Gewerkschaften und christlich-fundamentalistischen Gruppierungen wie der „Christian Coalition“ laut. Erstere haben eine Erhöhung ihrer Mitgliedsbeiträge genutzt, um Kandidaten der Demokraten zu unterstützen; letztere beansprucht nach wie vor den Status der Gemeinnützigkeit, obwohl in vielen Wahlkreisen die Aktivisten der Republikaner und der „Christian Coalition“ mittlerweile identisch sind. Wie schon 1992 und 1994 hat die Organisation des TV- Predigers Pat Robertson auch diesen Sonntag vor den Wahlen in Tausenden von Kirchen „Wahlführer“ verteilen lassen, in denen die Vereinbarkeit der Positionen von Kongreßkandidaten mit christlichen Werten geprüft wird.

Den Republikanern muß es gelingen, die religiös-konservative Kernwählerschaft zu mobilisieren, wollen sie ihre Mehrheit im Kongreß, vor allem aber im Repräsentantenhaus, behalten. Im Senat stehen derzeit 53 Republikaner 47 Demokraten gegenüber; im Repräsentantenhaus stellen sie mit 235 zu 197 Sitzen die Mehrheit. Viele der selbsternannten „Revolutionäre“, die nach dem haushohen Sieg der Republikaner bei den Kongreßwahlen 1994 als politische Neulinge ins Kapitol zogen, sehen sich bei diesen Wahlen gut finanzierten Gegenkandidaten und einer Öffentlichkeit gegenüber, die von dem radikalen Anti-Etatismus und dem Kahlschlag im Bundeshaushalt gar nichts halten.

In über 60 von 435 Wahldistrikten ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu erwarten. Die letzten Meinungsumfragen deuteten allerdings darauf hin, daß die republikanische Partei zwar Verluste einstecken, aber die Mehrheit behalten wird – und Newt Gingrich seinen Posten.

Mit ihren Telefonketten, „Wahlführern“, Briefkampagnen und Talkshows hat die organisierte Rechte anderen Gruppierungen immer noch einiges voraus, was die Mobilisierung von Wählern betrifft. Von einer gezielten Kampagne zur Registrierung von Wählern aus Minderheiten und Arbeiterschichten, wie sie in den 80er Jahren Jesse Jackson betrieb, war auch dieses Jahr nichts zu sehen. Zwar sind über das sogenannte „Motor Voter Law“, das den Eintrag ins Wahlregister bei der Beantragung des Führerscheins ermöglicht, zwölf Millionen US-Amerikaner im letzten Jahr zusätzlich als Wähler registriert worden. Doch die Vorhersagen für die diesjährige Wahlbeteiligung liegen bei knapp 50 Prozent, was dem Niveau von 1988 entsprechen, aber fünf Prozent unter der Wahlbeteiligung 1992 liegen würde.

„Bevor die große Wahlnacht- Fernseh-Extravaganz beginnt“, schreibt die linke Wochenzeitschrift The Nation, „sollten wir überlegen, ob die wahre Bedeutung dieser Wahl in der riesigen Zahl von Amerikanern liegt, die nicht wählen werden. 70 oder 80 Millionen Bürger werden einem teuren Legitimationsritual zuschauen, statt im demokratischen Prozeß ihre Meinung und ihren politischen Willen kundzutun. Vielleicht sollte man in der Wahlnacht darüber reden.“

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