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In Bonn wissen alle, was keiner weiß

Ein kleiner Führer durch den Finanzdschungel der Bonner Koalition  ■ Aus Bonn Markus Franz

Wenn morgen offiziell die Zahlen der Steuerschätzung vorgelegt werden, wird jeder wissen, was schon heute jeder weiß: Das Haushaltsdefizit für 1997 wird etwa drei Milliarden Mark betragen. Spätestens seit Anfang der Woche weiß auch jeder, wie die fehlenden Milliarden nicht aufgetrieben werden: nicht durch Steuererhöhungen und nicht durch Neuverschuldung, haben die Koalitionspartner erklärt. Jeder weiß auch, daß die FDP den Solidaritätszuschlag unbedingt 1998 um zwei Prozentpunkte senken will. Das kostet sieben Milliarden Mark. Und jeder weiß, daß erst Mitte Dezember eine Entscheidung darüber fällt.

Darauf hat sich die Koalition am Dienstag abend geeinigt, nachdem sogar der Fortbestand der Koalition auf dem Spiel gestanden haben soll, wie FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms gestern andeutete. Die für 1998 oder 1999 von der Koalition geplante Steuerreform soll eine Nettoentlastung von 20 bis 30 Milliarden bringen. Auch das weiß jeder. Nur eins weiß niemand: Wo soll das ganze Geld herkommen?

Weil's so schön ist, etwas zu wissen, fahren wir damit fort, was jeder weiß, nämlich wann welche Entscheidungen getroffen werden. Heute entscheidet der Bundestag mit der Mehrheit der Koalition über das Jahressteuergesetz 1997. Am 14.11. entscheidet der Vermittlungsausschuß. Oder am 5.12. Der Vermittlungsausschuß ist nötig, weil sich Bundestag und der SPD-dominierte Bundesrat nicht darüber einig sind, was im Jahressteuergesetz 1997 drinstehen soll. Die Koalition will die Abschaffung der Vermögenssteuer, die Opposition die Erhöhung des Kindergeldes. Da wir wissen, daß sich beide Seiten nicht einig sind, geht alles seinen Gang. Die Vermögenssteuer wird abgeschafft, wenn sie nicht geändert wird, weil es das Bundesverfassungsgericht so will. Das Kindergeld wird erhöht, weil dies gesetzlich bereits so vorgesehen ist. Ein Jahressteuergesetz braucht es dafür nicht und – welch schöner Gedanke – Politiker auch nicht. Vielleicht sollten sie sich aber wenigstens bei der Erbschaftssteuer einigen. Die wird nämlich sonst nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgeschafft.

Wir wissen ebenfalls, daß die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14.11. stattfindet. Dort wird der Haushalt 1997 mit Hilfe der Daten der jüngsten Steuerschätzung festgelegt. Ende November wird er dann gegen die Stimmen der Opposition im Bundestag verabschiedet. Die Neuverschuldung soll 56,5 Milliarden Mark nicht übersteigen. Der Haushalt 1996 sollte 59,9 Milliarden Mark nicht übersteigen. Wie wir wissen, fehlen in diesem Jahr allerdings etwa zehn Milliarden Mark. Der Bund wird sich neuverschulden. Wo also kommt das Geld für 1997 her? Finanzminister Waigel weiß, daß er in allen Ressorts sparen will. Auch Verteidigungs- und Sozialministerium sind kein Tabu. Vor kurzem hatte Waigel das noch nicht gewußt. Da hatte er weitere Kürzungen in diesen Ressorts ausgeschlossen. Von den Ministern Rühe und Blüm wissen wir jedoch, daß sie Kürzungen nicht mitmachen wollen. Wir wissen also von der Regierung, daß wir nichts wissen.

Was weiß die Opposition? SPD- Parteichef Oskar Lafontaine weiß, daß die Koalition nicht weiß, wo das Geld herkommen soll. Die Ankündigung, daß weder Steuern noch Verschuldung erhöht werden sollen, nennt er die „Quadratur des Kreises“. Doch er weiß Rat, um die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen und damit die Einnahmen aus Steueraufkommen zu erhöhen und die Ausgaben für Arbeitslose zu senken. Er nennt vier Punkte. Erstens: „Wir müssen die Lohnnebenkosten mehr ins Zentrum der Diskussion stellen.“ In der Tat sind Diskussionen immer gut. Zweitens: „Herstellung von Steuergerechtigkeit.“ Da wir wissen, daß auch Lafontaine keine Steuererhöhung will, kommt damit zunächst auch kein Geld in die Kassen. Drittens: „Abbau von ABM stoppen.“ Das bringt auf keinen Fall Geld. Viertens: „Nivellierung von Steuern und Abgaben in Europa.“ Wann das verwirklicht werden könnte, steht in den Sternen.

Wie ernst es die SPD mit konkreten Vorschlägen meint, wissen wir auch von Rudolf Scharping. Auf die Frage, ob die SPD den Solidaritätszuschlag 1998 wie die FDP um zwei Prozent senken will, sagt der SPD-Fraktionschef, er wolle sich auf die Höhe nicht festlegen. „Ich will nur eins: Klarheit per Gesetz.“

Wir wissen von Scharping ebenfalls, daß die SPD bereit ist, konstruktiv mit der Regierung zusammenzuarbeiten, unter der Voraussetzung, daß auf die Abschaffung der privaten Vermögenssteuer verzichtet wird. Wir wissen allerdings ebenfalls, daß dies mit der Koalition auf keinen Fall zu machen ist. Daraus ergibt sich, daß wir nicht wissen müssen, was Scharping auf Nachfrage nicht sagen will, nämlich was die SPD anbieten würde, wenn die Koalition die Vermögenssteuer nicht abschaffen würde.

Eigentlich wissen wir daher so gut wie alles. Bis auf das eine eben: Wie werden die Milliardenlöcher gestopft?

Kommentar Seite 10

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