: „Es wird viel zuviel gespuckt“
Das Sportgericht des Hamburger Fußball-Verbandes verurteilt im Fünf-Minuten-Takt Meckerer, FoulspielerInnen und Schiedsrichter-Beleidiger ■ Von Torsten Engelbrecht
Same procedure as every wednesday – beim Hamburger Sportgericht wird im Dinner-for-One-Stil verhandelt. Denn jeden Mittwoch spielt sich im Haus des Sports, Schäferkampsallee Nr. 1, das gleiche Prozedere ab: Von 17.30 Uhr an werden hier im Fünf-Minuten-Takt 15 bis 20 Fußball-Rot-Sünder verurteilt.
Der zu einem Gerichtssaal umfunktionierte Fachverbandsraum im dritten Stock wirkt im Vergleich zu anderen Gerichten wie eine provisorische Kulisse. Hauptdarsteller ist der Rechtsanwalt Uwe Grimm, der hier seit 1989 mit sechs Beisitzern Urteile fällt und diese Richtertätigkeit „als leidenschaftliches Hobby“ betreibt. „Ihre Wortwahl ist wirklich allerunterste Klasse – wir sind hier doch nicht auf dem Fischmarkt – – besuchen Sie 'mal 'ne Rhetorik-Schule!“ weist er einen Spieler zurecht, der im Gerichtssaal einen Schiedsrichter beleidigt hat.
Die Geburtsstunde des Hamburger Sportgerichts – eines von insgesamt 19 in der Bundesrepublik – fällt in das Jahr 1981. Das verbandsinterne Gericht ahndet sportliche Vergehen von Spielern, Trainern, Betreuern und Zuschauern und ist zuständig für den Herren-, Damen- und Mädchen-Amateur-Fußball. Die männliche Jugend – im Alter zwischen 6 und 18 Jahren – hat mit dem Verbands-Jugend-Ausschuß ihren eigenen Sport-Kadi.
Frauen scheinen insgesamt fairer zu spielen als Männer: Sie sind an nur zwei Prozent von Grimms Fällen beteiligt, obwohl die Frauen-Quote im HFV 6 Prozent beträgt. Das Sportgericht und der Verbands-Jugend-Ausschuß sind die erste Instanz der vom HFV selbstverwalteten Sportgerichtsbarkeit. Ordentliche Gerichte haben hier nichts zu sagen. Mit seiner gerichtlichen Autarkie will der HFV laut Satzung „Recht und Ordnung im Spielbetrieb und im Verbandsleben“ gewährleisten.Wer sich von Grimm oder seinen Kollegen ungerecht behandelt fühlt, kann in zweiter Instanz beim Verbandsgericht Berufung einlegen. Etwa 5 bis zehn Prozent der Angeklagten machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.
„Ich bin stets darum bemüht, die Fälle so sachlich wie möglich zu sehen“, sagt der 49jährige Grimm. Doch das ist manchmal nicht einfach. In den Verhandlungen „wird derart gelogen, daß sich die Balken biegen“, weiß Karsten Marschner, Geschäftsführer des HFV. Ein Spieler, der sich wegen Bespuckens eines Gegenspielers verantworten mußte, erklärte dem Richter, er habe nicht in böser Absicht gehandelt. Vielmehr sei ihm der Spieler des gegnerischen Teams „rein zufällig in's Spuckfeld gelaufen“. Viel half ihm das nicht: Er wurde zu einer Sperre von sechs Wochen verdonnert. Die üblichen 20 Mark Verfahrenskosten mußte der Verein bezahlen. „Das Bespucken eines Schiedsrichters oder Gegenspielers ist eine sehr häßliche Geschichte, die wir ganz kritisch sehen. Es wird viel zu viel gespuckt, Spucken gehört einfach nicht auf den Platz“, begründet Grimm sein Urteil.
Der HFV ist für 62.000 SpielerInnen zuständig. Sie kassierten 1995 etwa 2.000 rote Karten – rund 600 dieser Fälle hatten ein gerichtliches Nachspiel. Typische Entgleisungen, die vor Gericht enden, können der „Spielabbruch wegen gezielten Anschießens des Schiedsrichters“ oder Rangelein sein, bei denen sich die Spieler untereinander mit den Fäusten ins Gesicht schlagen. Schwerwiegende Entgleisungen mit hohen Strafen kommen selten vor.
Eine Ausnahme war das A-Jugend-Spiel zwischen Elmshorn und Türkgücü am 3. September 1995. Das Spiel mußte drei Minuten vor Schluß abgebrochen werden, weil der Schiedsrichter von Türkgücü-Spielern tätlich und verbal angegriffen worden war. Unmittelbar danach kam es zu einer Massenschlägerei mit zahlreichen Verletzten, von denen einige sogar ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Die türkische Mannschaft wurde daraufhin vom Spielbetrieb ausgeschlossen. Für den Fall, daß ein Richter zu hart mit den Rot-Sündern umspringt, hat sich der HFV gut vorbereitet: Paragraph 17 der Satzung räumt dem Präsidium das Gnadenrecht ein.
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