■ Zur Einkehr
: Tangente

Es gibt Menschen, für die das Essengehen den Abenteuerurlaub ersetzt. In jedem Restaurant wittern sie ihr Grundrecht auf Freiheit und leben ihr Ego exzessiv aus: „Ich hätte gern die Pizza 49, aber könnten Sie vielleicht statt der Muscheln Krabben rauflegen, statt der Kapern ein paar Pilze, und dann bitte eine doppelte Portion Käse?“

In jeder Hinsicht geschmacklos, doch sowas gibt's. Das kommt in der Tangente (Berliner Str.) täglich vor. Nicht weil die Originalpizzen schlecht schmecken – im Gegenteil, hier werden mithin die besten von ganz Bremen gebacken: ein knackiger Boden, der trotzdem nicht vom Brett herunter und dem Gegenüber auf's Gebein hüpft. Es suppt auch nichts durch. Dies, obwohl der Belag saftig ist, reichhaltig und gut gewürzt, egal, ob Spinat, Thunfisch oder Salami den Geschmackstenor angeben.

Aber wie gesagt, manchen reicht das nicht. Da muß auf der Pizza gemuddelt werden wie weiland im Sandkasten. Als wäre es die einzige und letzte Pizza, die diese Menschen im Leben noch kriegen. Von allem müssen sie noch einen Happen mitnehmen... Möglich, daß die Enge des Lokals einen gewissen Futterneid hervorbringt: Kaum finden drei Pizzabretter auf den Tischen Platz, unweigerlich sitzt man im Duft der nachbarlichen Speisung und fuhrwerkt mit Messer und Gabel hart an den Grenzen des Eigenen herum.

Wer nach 19 Uhr kommt, sollte sich folglich nicht in die Idee verbissen haben, unbedingt in der Tangente zu speisen. Denn es kann sein, daß man das Lokal mangels Platz wieder wechseln muß. Oder mangels Luft. NichtraucherInnen haben es schwer in der Tangente, heißt es. Für eine gute Atmosphäre sorgen indes die Angestellten des Lokals. Die Bedienung wurde bei mehreren Besuchen niemals bei schlechter Laune ertappt. Sie scheint jeder Belastungsprobe gewachsen zu sein und nimmt geduldig selbst krudeste Umbestellungen zu Protokoll. Das Bier ist gut gezapft und „der kleine Schuß Limo“, den eine gewisse Kundin in selbigem wünscht, hat im Gegensatz zu anderen Lokalitäten hier immer die richtige Dosierung.

Auch die Bäcker haben Nerven wie Käse. Natürlich backen sie am liebsten nach Art des Hauses. Die aber ist, allen Annahmen zum Trotz, nicht etwa italienisch. Nein, Pizzeria-Besitzer und Bäcker stammen aus dem Iran. Wieso sie ausgerechnet Pizzen feilbieten und so gut zuzubereiten verstehen? Eigentlich, klären sie lachend auf, habe die italienische Küche ihren Ursprung im Iran. Wenn das so ist, muß man sich allerdings wundern, daß hier noch niemand eine Pizza mit Duftreis bestellt hat. dah