: „Ab hier beginnt das Niemandsland“
■ Die gescheiterte Suche nach einem Flüchtlingscamp: Ein kleines Grenzstück zwischen Zaire und Goma ist zwar wieder geöffnet, dafür sperren Rebellen ganz andere Regionen ab
Drei umgestülpte Bierkisten blockieren die Rue de Katinda am Rande von Goma. Nur 15 Kilometer weiter nördlich liegt das ehemalige Flüchtlingscamp Mugunga in Ostzaire. Unser Auto wird von drei Männern in verschiedenen grüngemusterten Uniformen angehalten – Tutsi-Rebellen, die Goma letzte Woche gegen den schwachen Widerstand der zairischen Armee einnahmen. An jeder Schulter baumelt eine Kalaschnikow. „Durchfahrt verboten“, lautet der Befehl. Warum, wollen wir wissen. „Es ist zu gefährlich“, sagt einer. „Ab hier beginnt das Niemandsland. Heute morgen wurden wir mit drei Mörsergranaten beschossen. Das waren die Hutu-Milizen in den Bergen.“ Weiterverhandeln mit dem „Grenzsoldaten“ ist zwecklos.
Ähnlich ergeht es uns bei dem Versuch, zu dem rund vier Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Flughafen von Goma zu gelangen. Kein Durchkommen, jedenfalls nicht für Journalisten mit weißer Hautfarbe. Lediglich zwei kenianische Kollegen konnten diese Woche „unerkannt“ den menschenleeren Flugplatz erreichen. Gebäude und Landebahnen seien von Kugeln durchsiebt und mit Patronen übersät gewesen. Leichen hatten sie nicht entdeckt.
Obwohl die Grenze zu Goma zwischen der ruandischen Stadt Gisenyi und Goma im Norden des Kivusees seit drei Tagen geöffnet ist, kennt keiner das Schicksal der über 700.000 hauptsächlich Hutu- Flüchtlinge, die in den vergangenen zwei Wochen in das Gebiet westlich von Goma flohen. Nach Einschätzungen der vor einer Woche evakuierten Hilfsorganisationen muß längst ein Massensterben begonnen haben. Wasser und Nahrung fehlen seit Tagen. Mit dem Ausbruch von Epidemien wird gerechnet.
Auch in Goma fehlt es an Nahrungsmitteln und Arzneien. Das Krankenhaus Virunga ist seit dem 31. Oktober, als die Kämpfe begannen, völlig überbelegt. 91 Patienten wurden hier mit Schußwunden eingeliefert. In der hintersten halbdunklen Ecke eines Zeltes mit zwölf bereits besetzten Holzbetten liegt auf einer Trage ein kleines Mädchen. Teilnahmslos starrt es vor sich hin. Als der Pfleger die schmutzige Wolldecke zurückschlägt, wird ihre schwere Verletzung sichtbar. Die Hälfte ihres rechten Oberschenkels ist zerfetzt; die Mischung aus Blut und Schweiß ist atemraubend. Fliegen schwirren massenhaft durch die Luft und lassen sich auf den Verbänden nieder.
Ein zairischer Arzt hält die Stellung: Dr. Kasereka M. Lusi operiert, wo und wann immer es geht. Doch nach Einbruch der Dunkelheit muß er aufhören. Es gibt noch keinen Strom in Goma, und der Diesel für den Generator ist ausgegangen. „Dann müssen wir die Kranken sich selbst und Gott überlassen“, sagt er achselzuckend.
Im Zentrum Gomas ist es inzwischen ruhig geworden. Nach wie vor patroullieren Rebellen in der Stadt. Besonders bewacht wird das Haus des ehemaligen Gouveneurs. Seit der Eroberung residiert hier der Kommandeur der Tutsi-Rebellen, André Kissasse Ngandu. Der wohlbeleibte 51jährige in Zivil zeigt deutlich, wer das Zepter in der Hand hält: „Ich vertrete in dieser Region die Democratic Forces of the Liberation Kongo/Zaire, erklärt er knapp auf englisch. „Unser Ziel ist es, das Land zu befreien und bis in die Hauptstadt Kinshasa zu gelangen.“ Den Zugang zu den Flüchtlingslagern werde er erlauben – aber erst, wenn die Banyamulenge auch das Gebiet um Goma kontrollierten.
Unser zairischer Fahrer hat mit uns zum ersten Mal seit den Gefechten die Grenze nach Goma passiert. Sein Bruder, der dort geblieben ist, erzählt: „Noch immer dringen nachts bewaffnete Menschen ohne Uniform in unsere Häuser ein und plündern die letzten Habseligkeiten. Wir nennen sie die ,Unbekannten‘.“ Es seien keine Tutsi-Rebellen, die würden sie gut behandeln. Wahrscheinlich Hutu-Milizen oder versprengte zairische Soldaten. Caroline Schmidt-Gross, Goma
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