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Die Krise im Osten Zaires scheint nur Kulisse für langfristige Strategien zu sein, die weit entfernt an grünen Tischen entworfen wurden. Das politische Desaster wird aber vor allem als humanitäre Katastrophe behandelt – und wer die beendet, darf auf Imagepunkte hoffen. Dabei liefern sich die USA und Frankreich in Afrika einen Machtkampf Aus Kigali Bettina Gaus

Die Katastrophe als politischer Spielball

Mit diesen Zutaten beschreiben Autoren mittelmäßiger Thriller, wie Weltpolitik gemacht wird: Waffenschmuggel im großen Stil, Rebellen im Dschungel, Ränkespiele rivalisierender Großmächte, einander jagende Konferenzen rund um den Globus, Geheimdiplomatie, politische Morde.

Die Realität ist allemal absurder als jeder Roman. Die Krise im Osten Zaires entwickelt sich wie ein Politkrimi. Dabei scheint die Region selbst derzeit vor allem die Rolle einer schillernden, verwirrenden Kulisse für langfristige Strategien zu spielen, die Tausende von Kilometern entfernt an grünen Tischen entworfen werden.

Seit die Präsidentschaftswahlen in den USA gelaufen sind, können erschöpfte Afrikakorrespondenten erstmals seit Wochen ein wenig aufatmen. Plötzlich sind nicht mehr sie allein als Chronisten der neuesten Hiobsbotschaften des Kontinents gefragt. Arbeit mit Zaire haben nun auch die Kollegen in New York, Brüssel und Washington. Mit Verkündung des Wahlsieges von Bill Clinton begann die Musik auf einmal da zu spielen, wo vorher ohrenbetäubende Funkstille herrschte – im UNO-Sicherheitsrat, in der Europäischen Union und im Pentagon.

Vor Ort ist die Lage so unübersichtlich wie eh und je. Niemand weiß genau, aus welchen Gruppierungen sich die Rebellen im einzelnen zusammensetzen, denen die Eroberung der beiden Grenzstädte Bukavu und Goma gelungen ist. Allen Dementis zum Trotz kann immerhin als sicher gelten, daß sie vom benachbarten Ruanda mit Waffen und sogar mit Truppen unterstützt werden. Fest steht außerdem, daß die sowohl in Zaire als auch in Burundi und Ruanda ansässige Ethnie der Tutsi das Rückgrat der Bewegung bildet.

Alles weitere ist Spekulation. Journalisten bekommen derzeit nur das zu sehen, was die Beteiligten ihnen zeigen wollen. Bei Tagesausflügen über die Grenze nach Goma werden ihnen disziplinierte, gut organisierte Rebellen präsentiert, die die Lage im Griff zu haben scheinen und gewiß den gewalttätigen Haufen zairischer Soldaten vorzuziehen sind. Die Anführer der Rebellen – oder sind sie Marionetten? – betonen, daß sie selbst keine Tutsi sind. Es gehe nicht um grenzüberschreitende Machtgelüste einer Ethnie, sondern um einen rein innerzairischen, demokratischen Widerstand gegen das diktatorische Regime in Kinshasa.

Auch bei der sorgfältigsten Inszenierung passieren Regiefehler. Die Rebellen hatten einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen und die internationalen Hilfsorganisationen zur Rückkehr aufgefordert. Die Einladung sollte einen doppelten Zweck erfüllen: Zeigen, daß das Schicksal Hunderttausender ruandischer Flüchtlinge in Zaire auch den Rebellen am Herzen liegt und, wichtiger noch, die UNO zwingen, die neuen Herren in Goma und Bukavu als Verhandlungspartner zu akzeptieren.

Es war vorhersehbar, daß UN- Organisationen eine so weitreichende Entscheidung nicht über Nacht treffen. Allzuschnell würden die ausländischen Helfer schon nicht zurückkommen. Die Rechnung ging nicht auf: Kleinere Hilfswerke wollten die Fahrt über die Grenze wagen, und während die Medien passieren durften, blieb ihnen der Schlagbaum versperrt. Eine schnelle Rückkehr der Ausländer würde die Rebellen vor erhebliche Probleme stellen. Ihre Position ist nicht gefestigt. Ihr Einfluß endet wenige Kilometer hinter der eroberten Städten. Das Gebiet zwischen Goma und Bukavu ist weiter Feindesland.

Wer ist der Feind? Weit besser als die zairische Armee sind offenbar ruandische Milizien organisiert, denen auch die systematischen Massaker an der Tutsi-Minderheit 1994 zur Last gelegt werden. Gemeinsam mit Hunderttausenden von Zivilisten waren sie nach dem Sturz des von der Hutu- Mehrheit dominierten ruandischen Regimes nach Zaire geflüchtet. Hier lebten sie unbehelligt in Flüchtlingslagern – und bereiteten unabhängigen Quellen zufolge einen Angriff auf die neue, Tutsi-gesteuerte Regierung in Kigali vor.

In New York wurden jetzt Einzelheiten eines UNO-Berichts bekannt, dem zufolge unter anderem Frankreich, Großbritannien und Italien den Hutu-Kräften in Zaire in erheblichem Umfang Waffen geliefert haben sollen. In der Region gilt das als gesicherte Tatsache. Es dürfte kein Zufall sein, daß jetzt noch mal das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf die Waffengeschäfte gelenkt wird – den USA paßt der UNO-Bericht gut ins Konzept.

Washington und Paris verfolgen in Afrika unterschiedliche Interessen und kommen sich an strategisch wichtigen Punkten immer wieder ins Gehege. Die Krise im Osten Zaires ist für beide eine Chance, ihre Positionen zu festigen – allerdings nicht gemeinsam. Frankreich ist eine der wenigen Industrienationen, die in Afrika noch Machtpolitik im alten Stil betreibt. Regierungen kommen an die Macht und werden gestürzt von Gnaden des Elysee. Staaten wie Dschibuti und die Zentralafrikanische Republik wären ohne Paris nicht lebensfähig. Das alte ruandische Regime hatte sich jahrelang nur mit massiver Militärhilfe Frankreichs der mittlerweile herrschenden Tutsi-Rebellen erwehren können. Die neuen Machthaber in Kigali sind für Paris keine Verhandlungspartner. Gestützt von Uganda und mit engen Beziehungen zu Washington, führen sie das Land vom frankophonen in den anglophonen Einflußbereich in Afrika. An vielen Schulen Ruandas wird schon heute ausschließlich auf englisch unterrichtet. Die dringenden Bemühungen um ein Mandat des UNO-Sicherheitsrats für die Stationierung französischer Truppen in Zaire war ein Versuch, zu retten, was zu retten ist. Auch die Regierung in Kinshasa sähe die mit ihnen verbündeten Franzosen gerne im Land, dürfte sie doch hoffen, daß diese jeden Vormarsch der Rebellen stoppen würden. Ruanda könnte Frankreich jedoch niemals als die „neutrale Kraft“ akzeptieren, die diese Woche in Nairobi bei einer Zusammenkunft von sieben Staatschefs der Region gefordert wurde.

Washington verfolgt andere Interessen. Die USA wollen in Afrika vor allem ein Vordringen des islamischen Fundamentalismus verhindern, dabei jedoch selbst so wenig wie möglich riskieren und in Erscheinung treten. Im islamistisch regierten Sudan prallen die unterschiedlichen Ziele besonders heftig aufeinander: Während es ein offenes Geheimnis ist, daß die USA den südsudanesischen Rebellen über Uganda Hilfe leisten, soll Paris die Regierung in Karthum mit Satelitenbildern des umkämpften Südsudan versorgen.

Eine militärische UNO-Intervention, die sich auf afrikanische Bodentruppen stützt und lediglich logistische Hilfe der USA in Anspruch nimmt, entspräche genau dem gegenwärtigen Kurs Washingtons. Zufälle gibt's: Zum ersten Mal seit über 15 Jahren hat erst kürzlich mit Warren Christopher ein US-Außenminister Afrika besucht und dabei den Plan einer afrikanischen Kriseninterventionstruppe propagiert. Jetzt stehen Militärs aus Südafrika und Äthiopien Gewehr bei Fuß.

Der Weltöffentlichkeit ist suggeriert worden, bei der lange vorhersehbaren Zuspitzung der politischen Krise im Osten Zaires handele es sich vor allem um eine humanitäre Katastrophe. Wer für sich verbuchen kann, dem unvorstellbaren Elend Hunderttausender von Flüchtlingen mit militärischer Hilfe eine Ende bereitet zu haben, sammelt Punkte im Bereich Imagepflege. Nicht nur in Afrika liefern sich die USA und Frankreich einen Machtkampf. Über die Frage, wer künftig das Oberkommando der Nato im Süden Europas besetzen darf, ist zwischen beiden offener Streit ausgebrochen.

Die Folgen einer Militärintervention in Zaire wären politisch weitreichend. Kalkulieren aber lassen sie sich nur schwer. Die Konfliktparteien vor Ort verfolgen Ziele, die sich nicht mit denen ihrer reichen Verbündeten decken müssen. Fraglich ist, ob diese sie überhaupt kennen. Und hinsichtlich der Erfolgschancen von Helden gibt es halt doch Unterschiede zwischen Romanen und Realität.

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