Vertrauen ist schlecht, Kontrolle ist besser

60 Meter Akten, 101 Zeugen, 3,5 Kilo Bericht: Als Konsequenz aus dem Polizeiskandal will der Untersuchungsausschuß eine Kontrollkommission einführen. Bilanz und Rückblick  ■ von Silke Mertins

„Ich danke Ihnen, daß Sie mich zwei Jahre lang ertragen haben“, wurde der Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Polizei, Ulrich Karpen (CDU), am Samstag nach den abschließenden Beratungen von wehmütiger Selbstironie beseelt. Auch ihm sei das Ertragen der politisch anders Denkenden nicht immer leicht gefallen. Mit der GAL hatte er sich 57 Sitzungen lang einen ritualisierten Schlagabtausch geliefert.

Am Ende aber konnten die meisten nicht umhin zuzugeben, daß viele der jetzt im 1200-Seiten-Bericht vorgestellten Ergebnisse der beharrlichen Nervensägerei der Grünen („Die mußten doch zum Jagen getragen werden“: GALier Manfred Mahr) zu verdanken waren (vergleiche Seiten 5 und 10).

Nach langen Verhandlungen hat sich die Statt Partei bei der SPD mit ihrer Forderung nach einem „Frühwarnsystem“ durchgesetzt. Gegen die Stimmen der CDU wird die rot-graue Mehrheit der Bürgerschaft eine beim Parlament angesiedelte Kontrollkommission empfehlen, die möglichst ehrenamtlich arbeiten und zunächst zwei Jahre erprobt werden soll.

Als Ansprechpartner für Polizisten ebenso wie für Polizeiopfer solle den Kommissionsmitgliedern jederzeit Akteneinsicht und unangemeldeter Besuch in den Wachen gewährt werden. Im Gegensatz zu Polizeibeamten wären diese „Frühwarner“ nicht dem Strafverfolgungszwang unterworfen; Polizisten könnten Informationen weitergeben oder Zustände schildern, ohne daß sofort strafrechtlich ermittelt werden müßte.

„Wir stimmen inhaltlich mit dieser Lösung voll überein“, so GALier Manfred Mahr. Doch die Ehrenamtlichkeit sei „nicht akzeptabel“. Wenn Hamburg sich einen siebenköpfigen Leitungsstab und ein Polizeiorchester für vier Millionen Mark leiste, könne wenigstens der Kommissionsvorsitzende „anständig“ ausgestattet werden.

Die CDU hingegen fürchtet, daß eine Kommission eine „unangemessene Alibifunktion“ bekommt und die Polizeiführung sich aus der Verantwortung stehle, so Jürgen Klimke. Es gebe bereits genügend Kontrollmöglichkeiten wie Dienstaufsicht, interne Ermittlungen, Staatsanwaltschaft, Untersuchungsausschüsse und Anfragen durch Parlamentarier.

Eigentor. „Wo waren denn Ihre Kontrolle und Ihre kleinen Anfragen vor dem September 1994?“, mußte die CDU sich von Holger Christier (SPD) fragen lassen. „Wieviele Betroffene haben sich denn an uns Parlamentarier – mit Ausnahme der GAL – gewandt?“

Die Initialzündung

Am 12. September 1994 war das Maß für Innensenator Werner Hackmann (SPD) voll: Nicht nur die Ermittlungen zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen und den schweren Verletzung des Fernsehjournalisten Oliver Neß während der Haider-Kundgebung im Mai schleppten sich dahin. Es häuften sich zudem immer neue Vorwürfe gegen „Prügelpolizisten“. Nachdem die taz den Fall des Senegalesen Dialle D. veröffentlicht hatte, der von zwei Beamten wegen einer Mütze mit der Aufschrift „Gebt Nazis keine Chance“ verprügelt worden war, spitzte sich die Situation zu. Am Vormittag des 12. September wird dem Innensenator der „Einleitungsbericht“ eines Beamten mit den Worten „es ist alles noch viel schlimmer“ überreicht. Der Bericht schildert rechtsradikale Aktivitäten von Mitgliedern des „Einsatzzuges Mitte“. Am Nachmittag tritt der Senator zurück. Begründung: „unseliger Corpsgeist“ und „falsch verstandene Kameraderie“ bei der Polizei. Die Vorwürfe, Vorfälle und der Rücktritt werden fortan mit „Hamburger Polizeiskandal“ zusammengefaßt.

Die Suspendierungen

Nur einen Tag nach Hackmanns Rücktritt werden alle Beamten des berüchtigten „Einsatzzuges Mitte“ wegen des Verdachts rechtsradikaler Aktivitäten suspendiert. „Bürgermeister Dr. Voscherau dürfte eine erhebliche Rolle beim Zustandekommen dieser Entscheidung zugekommen sein“, rügt der Abschlußbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA). Die Suspendierung des gesamten Zuges mußte zwei Wochen später aufgehoben werden. Der PUA kritisiert das Vorgehen, denn der Polizeiführung war der Einleitungsbericht schon seit mehr als zwei Monate bekannt; man hatte ihn aber Hackmann nicht vorgelegt. „Daß der Innensenator ein Umfeld hatte – einen Staatsrat und eine Polizeiführung –, das nicht mit ihm zusammenarbeitete, sondern ihm bewußt Informationen vorenthielt, haben wir erst durch den PUA erfahren“, so der PUA-Vorsitzende Ulrich Karpen (CDU).

Die Wache 11

Schläge, Mißhandlungen mit Desinfektionsmittel und Tränengas, Scheinhinrichtungen, eine Vielzahl von kleineren Schikanen und bewußten Provokationen von Festgenommenen: Der PUA hält die Vorwürfe gegen die berüchtigte Wache 11 am Hauptbahnhof für glaubwürdig. Er stützt sich dabei hauptsächlich auf den „Kronzeugen“ Uwe Chrobok, der zehn Jahre in der Wache 11 zubrachte und insbesondere als Verwahrbuchführer die alltäglichen „Mistigkeiten“ miterlebte. „Hinsichtlich der Häufigkeit von Mißhandlungen kann nicht von Einzelfällen weniger ,schwarzer Schafe' gesprochen werden“, so der PUA-Bericht. Einige Beamte hätten in „eigenmächtiger und illegaler Weise ,Strafe vor Ort' in Form körperlicher Übergriffe“ ausgeübt.

Die Wache 16

Es sei zu zahlreichen polizeilichen Übergriffen gegen Mitglieder der autonomen Szene gekommen, bestätigt der PUA. Polizisten der Wache 16 und der „E-Schichten“ (Sondereinsatzschichten) hätten „in unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Weise Gewalt angewendet“. Ob der damalige Innensenator Werner Hackmann auf die Vorfälle „in geeigneter Weise“ reagiert hätte, sei „unklar“ geblieben. Auch hätten die Abteilung „Ps3“ (Polizeisachen) und die Staatsanwaltschaft „nicht immer fehlerfrei“, aber dafür fast immer zugunsten der beschuldigten Polizeibeamten ermittelt. „Die Staatsanwaltschaft kam ihrer Kontrollpflicht gegenüber Ps3 anscheinend nicht im hinreichenden Maß nach.“, so das Urteil des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Die Zeugen

Polizisten, ehemalige Mitglieder der Polizeiführung, der Ex-Staatsrat, Mitarbeiter der Ausländerbehörde, Staatsanwälte und viele andere, die den Polizeiskandal mitverschuldet hatten, wurden von dem CDU/SPD-geführten PUA sehr freundlich befragt. In die Zange genommen wurden sie meist nur von der GAL. Weniger zuvorkommend ging die PUA-Mehrheit mit den Polizeiopfern, insbesondere Oliver Neß und Dialle D., um. Während der Vernehmung von Neß kam es zu Schreiereien mit dem Vorsitzenden. Bei den Zeugenvernehmungen zum Fall Dialle D. wurde das Opfer teilweise zum Täter gemacht, immer wieder kriminalisiert und ins Zwielicht gerückt.

Die Staatsanwaltschaft

Immer wieder attestiert der PUA in seinem Bericht der Staatsanwaltschaft Ermittlungen zugunsten der Polizeibeamten. Besonders Staatsanwältin Marion Zippel – die für den Fall Dialle D. zuständig war – wird „Unsensibilität“ vorgeworden. Ihre Art der Ermittlungen gegen Polizeibeamte gingen als „Zippeln“ in den PUA-Jargon ein. Künftig soll die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ die Ermittlungen deutlicher an sich ziehen, empfiehlt der PUA. Oberstaatsanwalt Martin Köhnke bestätigte vor dem PUA die „Mauer des Schweigens“ bei der Polizei. „Dort ist vernebelt und verheimlicht worden.“ Daß die Staatsanwaltschaft selbst ein Stein in dieser Mauer ist, hält er allerdings für abwegig.

Die große Koalition

Zwei Jahre lang kuschelten sich SPD und CDU in großer Koalition durch den Untersuchungsausschuß. Die Statt Partei zeigte – gelegentlich – mehr Aufklärungswillen als die SPD. Ihr ist es auch zu verdanken, daß echte Konsequenzen überhaupt zustande kamen. Der SPD-Abgeordnete Hakki Keskin war der einzige seiner Partei, der das Thema Rassismus bei der Polizei nicht aus den Augen verlor. Sein Fazit: „Der PUA-Bericht marginalisiert und verharmlost rechtsradikale Tendenzen. Mit diesem Ergebnis habe ich Bauchschmerzen.“