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Beten, kochen, quatschen

Die Moschee in Berlin Kreuzberg ist auch ein Treffpunkt der türkischen Gemeinde. Sie bietet Küche, Freizeiträume und vor allem Hilfe bei Problemen  ■ Von Dilek Zaptçioglu

Unauffällig sieht das Gebäude in Berlin Kreuzberg aus. Wie ein altes Bürohaus, das in jeder deutschen Großstadt stehen könnte und wo der türkischen Kundschaft die üblichen Dienstleistungen angeboten werden: Geschäftstüchtige Dolmetscher tippen gerade die Übersetzung eines Ausbürgerungsantrags ein oder eilen durch das Treppenhaus zum nächsten Asylverfahren, noch tüchtigere Musikmanager planen die Deutschlandtournee von irgendeinem neuen türkischen Popstar, hinter Glastüren mit der Aufschrift „Import-Export“ wird über den Stückpreis von Damenunterhosen oder Tischlampen in Gondelform gefeilscht.

Wäre da nicht die zweite Etage. Alle überflüssigen Zwischenmauern sind abgerissen, der Betonfußboden mit Wollteppichen ausgelegt, in einer Ecke steht das „Mihrap“, die Gebetsnische, und etwas weiter rechts die kleine Kanzel, von der aus der Imam jeden Freitag zu den Gläubigen spricht, die anschließend in langen Reihen gen Mekka ihr Gebet verrichten.

Mehmet begleitet mich durch den Komplex: Rentner oder Arbeitslose vertreiben sich die Zeit beim Kaffeetrinken und Fernsehen. Die Küche ist so ausgerüstet, daß auch mal Essen für viele ausgegeben werden kann. Der Moscheesaal ist groß und glänzt vor Sauberkeit. Im etwas entfernteren Seitenflügel treffen sich die Frauen, lesen manchmal im Koran, nähen oder stricken zusammen oder besprechen in gemeinsamer Runde Familienprobleme. In den hinteren Freizeiträumen stehen Turngeräte und eine Tischtennisplatte.

„Wir treffen uns regelmäßig hier“, erzählt Mehmet. Er ist gerade 20 geworden, hat eine abgeschlossene Lehre hinter sich, ohne zunächst Arbeit zu finden. „Ich habe ab Neujahr einen guten Job in Aussicht“, sagt er, „sonst muß ich zum Militär in die Türkei.“ Den Job hat er in der Moschee gefunden: Es gibt genügend Geschäftsleute und Selbständige, die den Sohn oder die Tochter eines anderen Gemeindemitglieds einstellen oder vermitteln.

„Arbeitslosigkeit wird in der deutschen Gesellschaft zum Stigma, mit dem niemand fertig wird“, sagt ein Älterer im Kaffeehaus, „ich bin schon zu alt für eine neue Arbeit. Das ist aber keine Schande. Statt mich zu Hause zu besaufen und meiner Familie das Leben zur Hölle zu machen, friste ich hier meine Zeit ab, bis ich in Frührente gehen kann“, unter seinesgleichen, ohne Scham oder Isolierung. Ganz wie in der Heimat.

Und noch eine wichtige Funktion hat der Moscheenkomplex als Zentrum des türkischen Gemeindelebens in Deutschland: Es bietet drogenabhängigen oder kriminellen Jugendlichen die Möglichkeit, ins normale Leben zurückzukehren. Man findet einen vertraulichen Arzt oder Sozialarbeiter, organisiert finanzielle Hilfe, steht den Eltern bei, man ist da, wenn es brennt.

Viele Jugendliche gehen nur deshalb regelmäßig in die Moschee, um ihre Eltern zufriedenzustellen oder nicht aus der Reihe zu tanzen. Senay Atac-Geiger, Leiterin der Beratungsstelle für türkische Mädchen, Frauen und Familien in Kassel, weist jedoch auch auf einen anderen Aspekt der Gemeindeorganisation: „Natürlich wird in der Moschee auch für den Glauben geworben“, sagt sie, „das ist in anderen kirchlichen Einrichtungen nicht anders. Es gibt solche und solche Moscheenvereine. Manche haben Sektencharakter oder sind wirklich fundamentalistisch ausgerichtet, bei anderen wiederum tritt der soziale Charakter mehr in den Vordergrund.“ Daß auch hier geborene und aufgewachsene Jugendliche diese Bindung an die Solidargemeinschaft suchen, erklärt sie mit den „fehlenden Integrationsangebot“ der deutschen Gesellschaft:

„Die jungen Leute, die zu uns kommen, beklagen sich irgendwann immer über Ausgrenzung und Stigmatisierung. Das einzige, was Deutschland den Türken nicht gegeben hat, ist das Zugehörigkeitsgefühl. Die Gesellschaft drängt die Türken geradezu in solche Nischen.“

Das Eigenleben der Türken in Deutschland, vor allem die Schaffung verfestigter Infrastrukturen, wird seit einiger Zeit mißtrauisch beäugt. Es wird vor einer „muslimischen Parallelgesellschaft“ gewarnt, die Religion mit Politik verknüpfen und fundamentalistischen Tendenzen Aufschub leisten könne. Nichtsdestotrotz bleibt die „Explosion“ fundamentalistischer Organisationen aus. Die Verfassungsschutzberichte belegen seit Jahren, daß sich die Mitgliederzahl der fundamentalistisch eingeschätzten Verbände kaum verändert. Sie erscheint aber deshalb so hoch, weil kein anderer türkischer Verein, egal welcher politischer Coleur, es je geschafft hat, die Türken effektiver zu organisieren. Angesichts der persönlichen Streitigkeiten und der Vereinsmeierei unter selbsternannten Vertretern, ziehen viele das klar umrissene Feld der Moschee vor.

Daß die Türken, die in westeuropäische Länder ausgewandert sind, ihre Identität vor allem im Islam gesehen haben, zeigt auch eins: Die Glaubenskomponente war für diese ersten Generationen der wichtigste Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Die Moschee wurde zum ntürlichen Kristallisationspunkt dieser Identität.

Weitab vom Nationalstaat, trat der Glaube für viele in den Vordergrund. Es war mehr als nur die üblichen Rituale, die in jeder Religion zu finden sind. Der Glaube war sinnstiftend für das alltägliche Leben.

Eine „muslimische Parallelgesellschaft“ mit eigenen Gotteshäusern und Bestattungsunternehmen, mit islamisch korrekten Schlachtereien oder Bekleidungsgeschäften wird es solange geben, solange die größte Minderheit in Deutschland nicht zum Christentum konvertiert. Und das ist wohl mehr als unwahrscheinlich. Muslime werden entsprechend ihrem Glauben ihre eigenen Strukturen ausbauen. Diese sind nicht so klandestin, wie mancher Zeitungsbericht andeutet. Das Gemeindeleben versteckt sich nicht sektenartig „hinter verschlossenen Türen“, spielt sich nicht bewußt „unbemerkt von der Mehrheitsgesellschaft“ ab. Jeder, der sich dafür interessiert, kann in die Moscheen hineingehen, sich informieren, an Gebeten teilnehmen; jeder, der mehr Wissen benötigt, kann in die Grundbücher und Vereinsregister schauen und sich über die „verdeckten“ Strukturen ein Bild machen. Wie die Imame es ausdrücken, „hat es der Islam als Weltreligion nicht nötig, wie eine kleine Sekte im Untergrund zu agieren“. Abgesehen von kleinen Sektengemeinschaften liegt die muslimische „Parallelgesellschaft“ in Deutschland offen wie auf dem Serviertablett da – nicht nur für den Verfassungsschutz.

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