piwik no script img

Greifbare schöpferische Illusionen

■ Kunsthochschule: Ein Symposium über naturwissenschaftliche und künstlerische Verfahren

Soviel vorweg: Das von HfbK-Kunstprofessor Bogumir Ecker und Bettina Sefkow organisierte 2. Symposium Übergangsbogen und Überhöhungsrampe, das vergangene Woche an der Kunsthochschule stattfand, bot hervorragende visuelle und sprachliche Anregungen, um sich von der Gehirnforschung bis hin zur Skulptur-werdenden-Sprache zu informieren. Mit intimer Kennerschaft wurden extremste Referenten- und Referentinnen-Temperamente zusammengebracht. 150 bis 200 Besucher verfolgten die Dia-, Sprach- und Video-Darstellungen zwischen theoretischen und praktisch-künstlerischen Diskursen. Am überzeugendsten gelangen jene Vorträge, die in selbstvergessener Form ihr sinnliches Material vermittelten.

Das Projekt The European Sculpture von Thomas Schulz etwa wußte gleich zu Beginn zu überzeugen: Seit 1989 arbeitet der ehemalige Seemann und Steinmetz an einem Projekt, das sich dem Umbruch der Landschaften und dem politischen Zusammenschluß Europas widmet. Mit Hilfe akustischer und fotografischer Aufzeichnungen untersuchte er beispielsweise die Baustelle des „Euro-Tunnels“: sprachspielende „Ab-Lassung der Leere“ wurde Ablagerungsstätte unterhalb des Shakespeare-Riffs, „Abrollender Teppich im Bohrkopf“ zwischen Neodada und Hör- und Bildspiel.

In der Form problematisch, in der philosophischen Betrachtungsweise hervorragend, reflektierte Thomas Huber seine Auslotungen zum Thema Bild und Malerei: Den Sprachstil Thomas Bernhards leider 1:1 annektierend, philosophierte Huber über Schlaf, Holzmaserung, Tisch und Bett, Öl und Wasser. Die Zwischenform der Existenz, der Schlaf, ist ihm Sinnbild der Bildproduktion.

Nur als valentinsche Perfor-mance war Dieter Daniels Vortrag über Interaktivität aus dem Kontext von Cage und Fluxus zu ertragen, und ein elementares Thema zerstörte sich Jeanette Schulz durch karrierebewußte Selbstdarstellung: Gedächtnistheorien und Mnemotechniken, die sie an ausgezeichneten medizinischen und neurowissenschaftlichen Instituten erforschen darf, ertranken in Koketterie.

Wie man mit Material angemessen und spielerisch umgehen kann, bewies der Anaxagoras- und Chaos-Forscher Otto E. Rössler, der das Prinzip „Wetter“ wieder dahin brachte, wo es hingehört. Seit Winkelmann gilt: Kunst durch Klimaforschung gleich Kunstwissenschaft.

Und dann waren alle Besucher Zeuge eines aufgehenden Sterns für die Zukunft der bildenden Kunst: Der „Duchamp 2015“ heißt Paul Etienne Lincoln. Der gebürtige Londoner lebt in New York und konstruiert „Erinnerungsmaschinen“ aus einer tiefgehenden „Suche und Sehnsucht nach etwas, das unfaßbar ist. Zugleich sind sie aber auch alle ein Versuch, schöpferische Illusionen und Erinnerungen durch chemische Synthetisierung physikalisch greifbar werden zu lassen.“

Lincoln arbeitet nicht nur mit allen fünf Sinnen, er hat sogar den sechsten: Seine in jahrelanger Arbeit entstehenden Maschinen funktionieren nur unter besonderen Konstellationen für kurze Zeit, bevor sie sich im Einklang mit natürlichen Kreisläufen selbst zerstören. Wunder, Magie und Pataphysik. Die Einlösung aller Hoffnungen von Andre Breton.

Gunnar F. Gerlach

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen