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KrankengymnastInnen vor dem Aus

■ PatientInnen sollen Behandlung künftig selbst zahlen / Folge: Praxis-Schließungen

Peter S. hat ein Bandscheibenproblem. Jede Woche geht er in die Krankengymnastik-Praxis von Heike Köhler. Doch wenn die von Gesundheitsminister Horst Seehofer geplante dritte Gesundheitsreform greift, „wird er nicht mehr zu uns kommen“, befürchtet sie. Krankengymnastische Behandlungen müßten Patienten dann nämlich aus eigener Tasche zahlen. In Bremens Krankengymnastik-Praxen geht deshalb die Angst um. „Es wird zu Praxisschließungen und deutlichen Entlassungen kommen“, fürchtet schon jetzt Sibylle Görg, Vorsitzende des Zentralverbandes der Physiotherapeuten (ZVK) in Bremen.

„Wir dachten immer, wir bleiben von Seehofers Plänen verschont“, sagt die Praxischefin Heike Köhler. Doch weit gefehlt: Laut dem neuesten Gesetzentwurf aus Bonn sollen Krankenkassen künftig sogenannte Heilverordnungen wie Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie (Beschäftigungstherapie) aus ihrem gesetzlichen Katalog streichen dürfen. Die Folgen deutet die Barmer Ersatzkasse in Bremen schon jetzt an: „Das meiste müssen die Patienten dann wohl selbst bezahlen“, erklärt Barmer-Sprecherin Gabriele Graul.

Bisher hatte die Krankenkasse für den Bandscheiben-Patienten Peter S. fast 90 Prozent der Kosten anstandslos als Mußleistung übernommen. Peter S. zahlte für die insgesamt 260 Mark teuren zehn Stunden nur 10 Prozent, also 26 Mark aus eigener Tasche. Nach neuem Recht wird der Alleinverdiener mit drei Kindern dann wohl auf Hilfe verzichten: Auf den chronisch Kranken kämen pro Jahr rund 2.000 Mark für notwendige Krankengymnastik-Stunden zu. Die Stimmung sei angespannt, sagt auch Praxisleiter Heinz-Dieter Duveneck aus Hemelingen: „Meine sozial schwachen PatientInnen kommen dann einfach nicht mehr. Da muß ich dann eben einen Teil meines Personals entlassen.“

Der zentrale Verband der KrankengymnastInnen (ZVK) ist bereits auf Krawall gebürstet. In den letzten zehn Tagen wurden 2.000 Unterschriften für den Erhalt von den insgesamt 180 Bremer Krankengymnastik-Praxen und rund 500 KrankengymnastinnInnen gesammelt. „Wir fordern, daß unsere Leistungen die Regel bleiben und nicht zur Ausnahme herabgestuft werden“, sagt die ZKV-Vorsitzende Sibylle Görg. Den Vorwurf überflüssiger Behandlungen weist Görg ebenso wie die Krankengymnastin Köhler als völlig unbegründet zurück: Chronisch Kranke mit Multipler Sklerose, Querschnittssyndromen oder Babys mit Down-Syndrom seien ebenso „behandlungswürdig“ wie akute UnfallpatientInnen. „Sonst steigen wieder die Kosten für unnötige Krankenhausbehandlungen“, ärgert sich Köhler.

Doch was künftig behandlungswürdig ist oder nicht, würde dann voll in der Hand der in Bremen ansässigen Krankenkassen liegen. Aber sowohl die Handelskrankenkasse (hkk), die Deutsche-Angestelltenkrankenkasse (DAK) und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) halten sich mehr als bedeckt, wie sie ihre Satzungen künftig gestalten wollen: „Wir wissen ja noch nicht, ob die Reform überhaupt so greift“, wiegelt hkk-Sprecher Karl W. Biehusen ab. Die Barmer Ersatzkasse aber diskutiert bereits jetzt intern zwei Alternativen: Entweder die sogenannten Heilverordnungen wie Krankengymnastik werden ersatzlos gestrichen, um Beitragssätze zu halten. Oder sie bleiben, aber die Zuzahlungen der Patienten erhöhen sich. „Beides sind schlechte Lösungen“, gesteht ein Barmer-Mitarbeiter ein, „aber irgendwie müssen wir ja sparen.“ kat

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