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Belgiens Empörung über die Justiz schlägt um

■ Politiker beschuldigen sich gegenseitig, in die Dutroux-Affäre verwickelt zu sein, immer neue, immer fragwürdigere Anschuldigungen werden in der Presse lanciert

Brüssel (taz) – Es herrscht Verwirrung im Königreich. Die bisher unbewiesenen Vorwürfe gegen den Vizepremier Elio Di Rupo, er sei in die Kinderschänderaffäre verwickelt, haben die Hysterie noch angeheizt. Seit Wochen tauchen in den Schlagzeilen der belgischen Zeitungen immer neue Politiker auf, die sich der Korruption, der illegalen Parteienfinanzierung oder des sexuellen Mißbrauchs an Kindern schuldig gemacht haben sollen.

Nachdem ein Fernsehsender Mitte letzter Woche vier flämische Minister wegen angeblicher illegaler Geldgeschäfte an den Pranger stellte, berichteten flämische Zeitungen am Wochenende von Hausdurchsuchungen bei zwei wallonischen Ministern. Mit Berufung auf diverse Polizeiquellen hieß es, man habe Pornovideos mit homosexuellem Inhalt beschlagnahmt. Der liberale Oppositionsführer Herman de Croo reimte daraus am Sonntag im staatlichen Fernsehen RTBF einen Vorwurf gegen den sozialdemokratischen Vizepremier Elio Di Rupo und stellte einen Zusammenhang mit der Kinderschänderaffäre her.

Di Rupo, der im übrigen nie einen Hehl aus seinen homosexuellen Neigungen gemacht hat, wehrt sich seither verzweifelt gegen die „verrückten Vorwürfe“. Man habe Teile seines Privatlebens, „die niemandem Schaden zufügen“, mit „den ungeheuren Taten“ der Kinderschänder in Verbindung gebracht, um ihn fertig zu machen. Selbst die Vorsitzende der bekanntesten Kinderschutzorganisation in Belgien, Marie-France Botte, nahm Di Rupo in Schutz: Hier wolle jemand mit Hilfe der Kinderschänderaffäre persönliche Rechnungen begleichen.

Die Affäre um die entführten, mißbrauchten und ermordeten Kinder hat in Belgien ein Klima des allgemeinen Mißtrauens gegenüber Politik und Justiz geschaffen. Polizeistellen, Justizbeamte und Politiker beschuldigten sich gegenseitig, die Nachforschungen behindert zu haben. Der Verdacht, daß hohe Politiker in die Affäre verwickelt sind und deshalb die Aufklärung bewußt hintertrieben haben, hat das ganze Justizsystem in Frage gestellt. Zahlreiche Kommissionen und Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich seither auch mit anderen unaufgeklärten Skandalen, bei denen Politiker offensichtlich aus eigennützigen Motiven Einfluß auf die Justiz genommen hatten.

Mit dem Persönlichkeitsschutz nehmen es die Kommissionen und Ausschüsse offensichtlich nicht besonders genau, ebensowenig mit der Beweisführung. Fast täglich werden der Presse neue, oft nur dürftig untermauerte Vorwürfe gegen Politiker zugespielt. Unklar ist, ob es sich dabei nur um voreilige Schlüsse oder um gezielte Desinformation handelt, um die Aufklärung zu verhindern. Alois Berger

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