: Unzuverlässige Rahmenbedingungen
Verläßliche Halbtagsgrundschule: GEW zieht erste Bilanz nach 100 Tagen ■ Von Karin Flothmann
Sind sie nun verläßlich oder nicht – die 77 Grund- und Sonderschulen, die zu Beginn des vergangenen Schuljahres im Süden Hamburgs dazu verpflichtet wurden, ganz verläßlich und halbtags von 8 bis 13 Uhr zu unterrichten? 100 Tage nach ihrer Einführung zog die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gestern eine erste Bilanz, und die fiel alles andere als positiv aus. Denn letztlich, so resümierte Hamburgs GEW-Vorsitzende Anna Ammonn, hätten sich in der Praxis alle Befürchtungen bestätigt.
Eine Fragebogenaktion des Personalrats der GrundschullehrerInnen vermittelt nach Ansicht der GEW ein erstes Stimmungsbild aus dem verläßlichen Klassenraum: Danach meinen 70 Prozent aller LehrerInnen, daß ihre Belastung seit dem Herbst zugenommen habe. 68 Prozent der Erstklässler sind nach Ansicht ihrer Pädagogen schon heute überfordert, mit dem Resultat, daß sie im Unterricht unruhig und aggressiv werden.
Auch die geplante Teamarbeit von LehrerInnen, so das Resultat der Befragung, fiele wegen Personalmangel in der Hälfte aller geplanten Fälle aus. Dabei sollte der doppelte Lehrereinsatz in der verläßlichen Grundschulklasse eigentlich gerade mehr Raum für die Arbeit in Kleingruppen bieten. Häufig fehlen zudem geeignete Räume, in denen sich die Kinder zwischendurch mal austoben können. Zahlen von bis zu 32 SchülerInnen pro Klasse und eine unzureichende materielle Ausstattung, so das gestrige Fazit von Grundschullehrerin Maria Voigt, trügen das ihrige dazu bei, daß die tatsächliche Verläßlichkeit der Schulen sich allein auf den Zeitrahmen beziehen könne. „Unzuverlässige Rahmenbedingungen“, so Voigt, „schaffen auch eine unzuverlässige pädagogische Betreuung.“
Die Bedingungen müssen also stimmen, fordert daher die GEW, ansonsten, so Anna Ammonn, müsse sich auch die Schulbehörde fragen lassen, ob es nicht sinnvoller wäre, „stadtteilbezogene und schulspezifische Konzepte zu entwickeln“, anstatt schon ab August in ganz Hamburg die verläßliche Halbtags-Grundschule einzuführen.
Die Schulbehörde ficht diese Kritik nicht an. „Die ganze Befragung ist doch überhaupt nicht repräsentativ und außerdem unseriös“, meint Ulrich Rother, Projektleiter der verläßlichen Grundschule bei der Behörde. So sei etwa überhaupt nicht deutlich, wessen Meinung diese Fragebogenaktion wiedergebe: Die der Mehrheit eines Lehrerkollegiums oder die Einzelmeinung eines frustrierten Paukers? Viele Fragebögen, so hatte die GEW zugegeben, seien anonym zurückgesandt worden. Eigentlich, so Rother, sei es höchst bedauerlich, daß man mit dem Ergebnis dieser Befragung so gar nichts anfangen könne. Immerhin sei auch die Schulbehörde angewiesen auf die Meinung von Lehrern, Eltern und Kindern. Eine entsprechende Untersuchung im Auftrag der Behörde soll daher noch folgen – diesmal dann ganz seriös und wissenschaftlich.
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