: Maßstäbe für's Ohr
■ „Radio Bremen 4“ wird zehn und will beweisen, wie man jung bleibt, wo man doch fortwährend älter wird
Manche lassen sich liften, andere joggen, doch wie man's auch macht: Es haftet ein Kult um Jugend und Jugendlichkeit, den auch des kleinsten ARD-Senders junge Welle „Radio Bremen 4“ zu spüren bekommt. Am 1. Dezember 1986 ging der erste Rock- und Pop-Sender der Allgemeinen Rundfunkanstalten Deutschlands erstmals über den Äther und steht folglich in diesem Jahr vor seinem zehnten Geburtstag. „Wir haben zunächst gezögert, groß zu feiern“, gestand gestern Bremen-4-Veteran Berthold Brunsen. Denn eine Dekade kann ein Jugendprogramm und seine Macher gefährlich nahe ans glatzenwunde Alter rücken. Doch schweigen andererseits hieße, eine der erfolgreichsten Erfolgsgeschichten Radio Bremens unterm Scheffel schmoren zu lassen. Also wird doch gefeiert und deshalb auch berichtet.
In den Sternen steht, was den kleinsten ARD-Sender anno 1986 dazu trieb, das schon zuvor ausgebaute Jugendprogramm auf der Hansawelle auf eine zusätzlich geschaffene eigene Frequenz rüberzuziehen. Denn weithin galt der Jugendfunk als Reservat, und die Schaffung eines neuen Sendeplatzes war damals in etwa so ungewöhnlich wie ein erfolgreicher Jungfernflug eines neuen Ariane-Typs. Radio Bremen indes entdeckte das jugendliche Publikum als konsumfreudigste Schicht in der Verbraucherlandschaft und wurde dafür schlappe neun Jahre später damit belohnt, daß sich Bremen 4 inzwischen zum eigenständigen und nach Angaben des Hörfunkchefs Hermann Vinke auch gewinnbringenden Werbeumfeld entwickelt hat. Und das kam so.
Für Leute, die an Christian Günthers „Hit Line International“ oder das Samstagsdoppelpack Kluth und Cahlenberg gewöhnt waren, ging's auf 101,2 Mhz anfangs ganz schön schrill zu. Die in Ehren erwachsen gewordenen Programm-MacherInnen, die zum großen Teil noch heute für die Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahre wirken, widersetzten sich dem Gängigen und schufen ihre Maßstäbe selbst. Da war etwa die „Playlist“, mit der dem Publikum daheim an den Geräten hitparadenunabhängiger Musikgeschmack untergejubelt wurde. Doch solche Pflänzchen missionarischen Eifers verschwanden bald, denn Radio Bremen 4 veränderte sich nach Angaben des Moderators Axel P. Sommerfeld „vom flippigen Szenesender zu einem massenwirksamen Hitradio“, was bald die bösen Zungen auf den Plan rief, die da schnalzten: Vom Schrägfunk zum Dudelsender.
Einschaltquoten und Massenwirksamkeit sind schließlich in den Hauptprogrammen des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks der Maßstab aller Dinge, und in Sachen Bremen 4 hat sich das Funkhaus durchaus mit Ruhm bekleckert: Mit einem im Vergleich zu den inzwischen vier anderen ARD-Jugendsendern höchstens halben Etat von 2,1 Millionen Mark pro Jahr und mit etwa 40 freien und festen MitarbeiterInnen erreicht Bremen 4 im Land Bremen nach der letzten Media Analyse 35,6 Prozent der anvisierten Zielgruppe und rangiert mit 20,1 Prozent im Sendegebiet nach dem Privatfunk ffn auf Platz zwei.
Musikalische Schnittmengen mit der Konkurrenz sind unbestreitbar, doch im Wortanteil setzt das Programm mit polarisierenden Moderatoren wie Axel P. Sommerfeld oder der Comedy „Nullnummer“ im Zweifelsfall aufs Risiko, beteuert Berthold Brunsen. Wellenchef Wolfgang Hagen, unter dessen Regie die Programmtechnik inzwischen digitalisiert wurde, glaubt ohnehin, daß sich Radio gegenwärtig und künftig total auf Zielgruppen orientieren müsse. Beim Geburtstagskind scheint diese Rechnung aufzugehen, denn im Moment schalten sich auch die Jüngsten der Jungen noch bei Radio Bremen 4 ein. Doch wie sieht's in zehn Jahren aus? Und wie bleibt man jung, während man älter wird? Wolfgang Hagen ahnt die Antwort : „Wir schaffen ein neues Jugendprogramm.“ Christoph Köster
Radio Bremen 4 feiert am 7.12. in den BSAG-Werkstatthallen eine Radiogala mit Musik, Comedy und Wortanteil
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