piwik no script img

„Die Zwei-Klassen-Medizin verhindern“

■ Bundesweit demonstrierten Ärzte und Therapeuten gegen die Einsparungen im Gesundheitswesen. Mediziner, die ihr Budget überschreiten, werden zur Kasse gebeten

Berlin (taz) – „Wir ersparen den Krankenkassen wahnsinnige Kosten und werden dafür noch bestraft.“ Internist Wolfgang Brandt hat die Faxen dicke. „Wegen der unhaltbaren Zustände in der ambulanten Versorgung in Brandenburg“ ist der Mediziner in Potsdam auf die Straße gegangen. Gegen Kahlschlag im Gesundheitswesen demonstrierten gestern ÄrztInnen, TherapeutInnen und PatientInnen in der ganzen Bundesrepublik. Allein in Potsdam waren mehrere tausend unterwegs.

Brandenburgs MedizinerInnen werden zur Kasse gebeten. Um 200 Millionen Mark haben sie dieses Jahr ihr Budget überschritten. Zu viele Pillen, zu teure Behandlungen, unwirtschaftliche Arbeitsmethoden werfen die Krankenkassen ihnen vor. Was fehlt im großen Topf, sollen die ÄrztInnen jetzt aus eigener Tasche bezahlen. „Pro Arzt“, weiß Ralf Herre, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, „wären das rund 16.000 Mark Regreßforderungen. Wenn die Praxen das bezahlen müßten, dann bedeutet das eine Rationalisierung auf dem Rücken der Patienten.“

Wie Einsparungen in der Praxis aussehen, kann Internist Wolfgang Brandt aus Potsdam sich ausmalen. Kommt eine Patientin in seine Potsdamer Praxis und klagt über ein Magengeschwür, dann hat er die Wahl: Entweder er macht eine Magenspiegelung, oder er schickt sie weiter. Denn für die Diagnose bekam er vor drei Jahren noch 93 Mark, zur Zeit gibt es 70 Mark dafür, demnächst vielleicht noch weniger. „Die meisten Ärzte werden es ganz einfach ablehnen, für dieses Geld eine Magenspiegelung ambulant zu machen. Die schicken die Patientin in die nächste Klinik. Da wird dann alles durchgecheckt, und wenn sie nur einen Tag im Bett liegt, dann kostet das schon 1.500 Mark. Eingespart wird da gar nichts.“

Ambulante Betreuung in der Praxis eines niedergelassenen Arztes ist oft weitaus günstiger als eine Behandlung im Krankenhaus. Krebsvorsorge, Chemotherapie oder kleinere Operationen werden heute immer seltener in einer Klinik vorgenommen. Doch die ambulante Betreuung kostet die Mediziner Geld – und Zeit. Wer sich um seine PatientInnen ausgiebig kümmert, kann im freien Wettbewerb nicht mithalten, befürchten MedizinerInnen. Vor Ungerechtigkeiten zwischen alten und neuen Bundesländern warnen vor allem die Mediziner aus dem Osten. Denn es ist ein großer Unterschied, ob ein Kranker im Osten oder im Westen behandelt wird. Für eine Patientin aus Cottbus stellt die Krankenkasse durchschnittlich 585 Mark im Jahr zu Verfügung. Wer dagegen in der Pfalz behandelt wird, dem stehen 862 Mark im Jahr zu. „Die Zwei-Klassen-Medizin zwischen Ost und West müssen wir verhindern“, meint die Kassenärztliche Vereinigung in Postdam. Brandenburg sei „das absolute Schlußlicht bei den Kassenleistungen“.

In den neuen Bundesländern ist die „Situation wesentlich dramatischer als im übrigen Bundesgebiet“, weiß auch Monika Knoche, gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag. Selbstmitleidige Klagen der Kassenärzte will sie freilich nicht durchgehen lassen. „Daß die Ärzte ihren Patienten einfach ein Privatrezept über den Tisch schieben, wenn ihr Budget ausgeschöpft ist, das ist unlauter. Auch die Mediziner müssen schauen, wo gespart werden kann.“ Sie plädiert für eine klare Benennung wirksamer und kostengünstiger Medikamente auf einer Positivliste. Doch da ist die Pharmaindustrie vor. Constanze von Bullion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen